Rz. 38

Das Unterlassen einer nach § 91 AO gebotenen Anhörung führt zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, nicht jedoch zu dessen Nichtigkeit.[1] Der Verwaltungsakt leidet an einem Verfahrensfehler.

 

Rz. 39

Dieser Verfahrensfehler kann aber gem. § 126 Abs. 1 Nr. 3 AO durch eine Nachholung der erforderlichen Anhörung geheilt werden[2], und zwar unabhängig davon, ob ein gebundener Verwaltungsakt oder eine Ermessensentscheidung vorliegt. Die Wirkung der Heilung tritt hierbei ex tunc ein, sodass der ursprünglich unter dem Mangel der fehlenden Anhörung leidende Verwaltungsakt als von vornherein rechtmäßig anzusehen ist.[3] § 126 Abs. 2 AO lässt es zu, dass die Anhörung bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden kann, weshalb Verstöße gegen den Anhörungsgrundsatz regelmäßig folgenlos bleiben.[4] Im finanzgerichtlichen Verfahren dürfte der Verstoß allerdings dazu führen, dass der Finanzbehörde nach § 137 S. 2 FGO die durch ihr Verschulden verursachten Kosten auferlegt werden.[5]

 

Rz. 40

Ist die rechtzeitige Anfechtung eines Verwaltungsakts versäumt worden, weil vor Erlass des Verwaltungsakts die gebotene Anhörung eines Beteiligten unterblieben ist, so gilt die Versäumung der Einspruchsfrist als nicht verschuldet.[6] Das für die Wiedereinsetzungsfrist nach § 110 Abs. 2 AO maßgebende Ereignis tritt im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Anhörung ein.[7] Voraussetzung ist, dass zwischen dem Unterbleiben der Anhörung und der Fristversäumung ein Kausalzusammenhang besteht.[8] Im Zweifel ist zugunsten des Beteiligten von einer Ursächlichkeit auszugehen.[9]

 

Rz. 41

Allerdings ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren, wenn die gebotene Anhörung zwar unterblieben, die Finanzbehörde im Steuerbescheid aber hinreichend auf die Abweichung von der Steuererklärung hingewiesen hat.[10] Es genügt, wenn die Finanzbehörde in den Erläuterungen zum Steuerbescheid auf ein Telefonat mit dem steuerlichen Berater Bezug nimmt.[11]

 

Rz. 42

Ist der Verfahrensfehler nicht geheilt worden, so kann eine Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsakts nicht allein aufgrund der unterlassenen Anhörung verlangt werden, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können.[12] Bei gebundenen Entscheidungen – und hierunter fallen auch Schätzungsbescheide[13] – bleibt die unterlassene Anhörung also generell sanktionslos. Bei Ermessensentscheidungen greifen die Wirkungen des § 127 AO dagegen nur ein, wenn ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null gegeben ist.[14]

 

Rz. 43

Die Heilung einer unterlassenen Anhörung oder deren Unbeachtlichkeit kann letztlich aber eine Schadensersatzpflicht wegen Amtspflichtverletzung[15] auslösen, etwa wenn der Beteiligte durch den finanzbehördlichen Verstoß in ein Rechtsbehelfsverfahren getrieben wird und ihm in diesem Zusammenhang Kosten für die Inanspruchnahme eines Bevollmächtigten erwachsen.[16]

[1] BFH v. 28.8.1990, VII R 59/89, BFH/NV 1991, 215; BFH v. 27.7.1999, VI S 13/99, BFH/NV 2000, 39; FG Hamburg v. 2.12.1982, VI 217/78, EFG 1982, 274; Koenig/Hahlweg, AO, 4. Aufl. 2021, § 91 Rz. 38; Wagner, in Kühn/v. Wedelstädt, AO/FGO, 22. Aufl. 2011, § 91 AO Rz. 9; Roser, in Gosch, AO/FGO, § 91 AO Rz. 31; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 28 VwVfG Rz. 78; Grube, DStZ 2013, 193.
[3] BFH v. 15.6.2001, VII B 18/21, BFH/NV 2021, 1331.
[4] Kritisch hierzu Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 91 AO Rz. 3; Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 91 AO Rz. 189; Grube, DStZ 2013, 193.
[8] BFH v. 13.12.1984, VIII R 19/81, BStBl II 1985, 601 m. w. N.; Klein/Rätke, AO, 16. Aufl. 2022, § 91 Rz. 10; Helsper, in Koch/Scholtz, AO, 5. Aufl. 1996, § 91 AO Rz. 11; Carl/Klos, INF 1995, 417.
[9] Koenig/Hahlweg, AO, 4. Aufl. 2021, § 91 Rz. 38.
[14] BFH v. 18.7.1985, VI R 41/81, BStBl II 1986, 163; Koenig/Hahlweg, AO, 4. Aufl. 2021, § 91 Rz. 39; Söhn, in HHSp, AO/FGO, § 91 AO Rz. 194a.
[16] LG Nürnberg-Fürth v. 30.10.2008, 4 O 6567/08, DStRE 2009, 42; Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 91 AO Rz. 3; Klein/Rätke, AO, 16. Aufl. 2022, § 91 AO Rz. 10; App, INF 1988, 219; Buchbinder, DStZ 2009, 250.

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