Tz. 9

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Das Unterlassen einer gebotenen Anhörung stellt einen Verfahrensverstoß dar, der den Verwaltungsakt jedoch nicht nichtig, sondern nur rechtswidrig macht. In der Praxis führt eine fehlende Anhörung aber nur selten zu einer Aufhebung des Verwaltungsaktes. Denn gem. § 126 Abs. 1 Nr. 3 AO ist eine unterlassene Anhörung unbeachtlich, wenn sie nachgeholt wird. Die Nachholung ist gem. § 126 Abs. 2 AO noch bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens, d. h. also bis zum Abschluss eines Verfahrens vor dem Finanzgericht möglich; beim BFH scheidet eine Nachholung demnach aus. Dabei ist die Anhörung schon dann nachgeholt, wenn der Betroffene zu irgendeinem Zeitpunkt des Verfahrens zum Sachverhalt Stellung nimmt. Ausreichend ist also auch eine Anhörung im Rahmen des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens. Deshalb wird ein Anhörungsmangel auch geheilt, wenn Abweichungen von der Steuererklärung im Bescheid hinreichend deutlich erläutert werden. Dies erfordert in der Regel, dass die Abweichung für den Betroffenen ohne Weiteres erkennbar ist (BFH v. 30.04.2014, X B 244/13, BFH/NV 2014, 1350). Dies gilt insbesondere, wenn die Abweichung wirtschaftlich erst in einem Folgebescheid relevant wird.

 

Tz. 10

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Ist infolge des Verstoßes die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes versäumt worden, so gilt nach § 126 Abs. 3 Satz 1 AO die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als nicht verschuldet. Es handelt sich um eine gesetzliche Fiktion fehlenden Verschuldens in Gestalt einer für die Finanzbehörde unwiderleglichen Vermutung. Allerdings muss die fehlende Anhörung für die Fristversäumnis ursächlich sein; die Ursächlichkeit muss der Betroffene zumindest schlüssig darlegen und glaubhaft machen. Zu beachten ist, dass das für die Wiedereinsetzungsfrist nach § 110 Abs. 2 AO maßgebende Ereignis im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Anhörung eintritt (§ 126 Abs. 3 Satz 2 AO). Bleibt der Verfahrensverstoß mangels einer wirksamen Heilung gem. § 126 AO beachtlich, kann gem. § 127 AO die Aufhebung des Verwaltungsakts wegen des Verfahrensfehlers allein nicht verlangt werden. Vielmehr muss dargetan werden, dass aufgrund der mit dem Rechtsbehelf gerügten Unterlassung der Anhörung auch der (materielle) Regelungsinhalt des Verwaltungsakts zuungunsten des Rechtsbehelfsführers beeinflusst worden ist (s. § 127 AO Rz. 6). Unabhängig vom materiellen Ausgang des Rechtsbehelfsverfahrens wird der Verfahrensverstoß sich im finanzgerichtlichen Verfahren in der Kostenfolge zulasten der FinVerw. niederschlagen müssen (s. § 137 Satz 2 FGO).

 

Tz. 11

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Wird ein Antrag auf Akteneinsicht abgelehnt, kann der Betroffene hiergegen Leistungsklage erheben, da es sich weder bei der Ablehnung noch bei der Gewährung von Akteneinsicht um einen Verwaltungsakt handelt (gl. A. Seer in Tipke/Kruse, § 91 AO Rz. 33), sodass es vor der Erhebung der Klage keines Einspruchsverfahrens bedarf (a. A. BFH v. 04.06.2003, VII B 138/01, BStBl II 2003, 790; BFH v. 23.02.2010, VII R 19/09, BStBl 2010, 729, allerdings ohne Begründung). In materieller Hinsicht ist zu beachten, dass die AO keinen gesetzlichen Anspruch auf Akteneinsicht gibt. Dem Stpfl. steht jedoch ein Anspruch darauf zu, dass das FA im Rahmen einer Ermessensentscheidung über den Antrag auf Akteneinsicht entscheidet (BFH v. 05.12.2016, VI B 37/16, BFH/NV 2017, 435).

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