Rz. 6

Die Norm setzt die Weiterverwendung der in den für die jeweiligen Steuerfälle zuständigen Finanzbehörden für deren originäre Besteuerungszwecke erhobenen geschützten Daten voraus. Der Verwendungszweck des § 88 Abs. 1 und 2 AO stellt aber nicht auf die Besteuerung der betroffenen Personen oder überhaupt von Einzelfällen ab. Zwar handelt es sich gleichfalls um ein Verfahren in Steuersachen. Der Nutzungszweck der weitergeleiteten geschützten Daten ist aber grundsätzlich anders ausgelegt. In der Weiterverwendung der erhobenen und von den für die Einzelfälle zuständigen Finanzbehörden mitzuteilenden Daten liegt also eine Zweckänderung, da die weitere Nutzung der personenbezogenen Daten auch zu anderen Zwecken, als denen der ursprünglichen Datenerhebung erfolgt. Hier muss der Gesetzgeber sicherstellen, dass dem Eingriffsgewicht der Datenerhebung auch hinsichtlich der neuen Nutzung Rechnung getragen wird.[1]

 

Rz. 7

Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Zweckbindung schließt Zweckänderungen nicht aus. Die "neuen" Zweckbestimmungen bedürfen aber ihrerseits einer gesetzlichen Grundlage, die mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Unter anderem setzt dies voraus, dass der Verwendungszweck, zu dem die Daten erhoben wurden und der veränderte Verwendungszweck miteinander vereinbar sind. Eine Unvereinbarkeit läge etwa dann vor, wenn grundrechtsbezogene Beschränkungen des Einsatzes bestimmter Erhebungsmethoden durch die zweckändernde Datennutzung umgangen würden, die Information also für den geänderten Zweck nicht oder nicht in dieser Weise hätte erhoben werden dürfen.[2]

Die Zwecke sind aber jedenfalls dann vereinbar, wenn beide Verfahren dem Ziel dienen, das öffentliche Interesse praktisch durchzusetzen[3], wie es auch im Anwendungsbereich des § 88c Abs. 1 und 2 AO erkennbar – auch unter indizieller Wirkung des Abs. 3 – der Fall ist.

 

Rz. 8

In Anlehnung an die Regelungen in den §§ 138d ff. AO wäre es dem Gesetzgeber zudem möglich gewesen, die Pflicht der Nutzer oder Intermediäre zur Mitteilung legaler relevanter kapitalmarktbezogener Gestaltungen auch neben der Steuererklärungspflicht ergänzend dezidiert zu regeln. Die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der §§ 138d ff. AO wird zwar teilweise verneint[4] und auch sonst eher kritisch gewürdigt.[5] Diese Kritik entzündet sich aber trotz Anerkenntnis der grundsätzlichen europarechtlichen Vorgaben im wesentlichen an der Ausgestaltung der Regelungen.

Anders als §§ 138d ff. AO weist aber § 88c AO einen klaren Zuschnitt auf solche Gestaltungen auf, die über Jahre hinweg durch Ausnutzung der Besonderheiten der Kapitalertragsteuererhebung und -erstattung die Steuergerechtigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung grob verletzt haben. Der Gesetzgeber musste hier also Wege finden, derartige – auch zukünftige – Gestaltungen am Kapitalmarkt zu erkennen und zu unterbinden. Dieses verfassungsrechtlich gebotene gesetzgeberische Erfordernis eines Gegensteuerns gerade gegen Gestaltungswege im Bereich der Kapitalertragsteuern im Interesse der Besteuerungsgerechtigkeit und -gleichheit lässt jedenfalls Eingriffe in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zu.

Dementsprechend wäre es dem Gesetzgeber m. E. grds. auch möglich gewesen, eine eigenständige gesetzliche Regelung zur Datenerhebung statt der in § 88c Abs. 1 und 2 AO geregelten zweckändernden Weiterverarbeitung der im Besteuerungsverfahren erhobenen Daten zu schaffen. Der Staat sollte vorhandene Informationen über unerwünschte Gestaltungen – soweit ihm möglich – aber schon als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (siehe zu Rz. 11) sinnvoll zusammenführen und insbesondere zu Verifikationszwecken nutzen, bevor er neue Pflichten für Dritte einführt.[6] Die in § 88c AO gewählte zweckändernde Weiterverwendung geschützter Daten zur analytischen Auswertung auf unerwünschte Steuergestaltungsmodelle am Kapitalmarkt ist gegenüber der Schaffung neuer zusätzlicher Datenerhebungen der mildere und zu bevorzugende Weg. Verfassungsmäßige Zweifel bestehen dementsprechend eher an der mit dem AbzStEntModG zugleich eingeführten Erweiterung der Informationspflichten der Kreditinstitute beim Steuerabzug[7], als an der Schaffung der Auswertungs- und Analysemöglichkeiten bereits vorhandener Daten durch § 88c AO.

 

Rz. 9

Während die Anzeigepflichten nach §§ 138d ff. AO – schon wegen des nemo-tenetur-Grundsatzes – auf legale Steuergestaltungen gerichtet sind, umfasst § 88c AO sowohl legale, als auch illegale Gestaltungen. Diese erweiternde Datennutzung und -analyse zur Herausarbeitung von Verdachtsfällen illegaler Gestaltungen stellt aber jedenfalls und auch im "Erst-Recht-Schluss" eine zulässige Einschränkung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung im Interesse einer verfassungsmäßigen und gleichheitsgerichteten Besteuerung dar.

Rz. 10 einstweilen frei

 

Rz. 11

Die verfassungsrechtliche Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer Norm muss sich am Regelungsziel und dessen Rechtfertigungskraft orientieren. Dabei sind sowohl die Betrugsbekämpf...

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