Rz. 143

Der Entstehungsgeschichte kommt zur Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers erhebliches Gewicht zu.[1] Mit der historischen Auslegung kann daher unter Zugrundelegung der Entstehungsgeschichte der Vorschrift der Gesetzessinn oder- zweck ermittelt werden. Dazu sind die Gesetzesmaterialien (z. B. Begründung des Gesetzesentwurfs, Ausschussniederschriften) heranzuziehen.[2]. Ein sich daraus ergebender Wille des Gesetzgebers kann allerdings keine Berücksichtigung finden, wenn der Wortlaut der Vorschrift eindeutig eine andere Aussage enthält.[3]

Der sogenannte Wille des Gesetzgebers bzw. der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten kann daher bei der Interpretation nur insoweit berücksichtigt werden, als er auch im Gesetzestext einen Niederschlag gefunden hat.[4] Insbesondere reicht eine Äußerung der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten in den Gesetzesmaterialien für sich allein nicht zur Bestimmung des Normzwecks aus.[5] Auch muss der sich aus der Entstehungsgeschichte und den Materialien ergebende Wille des Gesetzgebers zzt. der Schaffung des Gesetzes hinter dem mutmaßlichen gesetzgeberischen Willen im Zeitpunkt der späteren Auslegung[6] zurücktreten. Unbeachtlich sind auch bloße Regierungs- oder Parteiinitiativen, die sich in der späteren Gesetzesfassung nicht abbilden.[7]

 

Rz. 144

Im Übrigen wird der historischen Auslegung meist nur eine unterstützende Funktion insoweit zuerkannt.[8] Dies ist jedenfalls bei der Auslegung älterer Vorschriften gerechtfertigt, weil die subjektiven Vorstellungen des Gesetzgebers mit dem zunehmenden Alter einer Gesetzesregelung an Gewicht verlieren.[9] Gleichwohl kann die historische Auslegung gerade im Steuerrecht bedeutsam sein, weil wegen der häufigen gesetzlichen Änderungen und der Kurzlebigkeit zahlreicher Steuernormen nur ein kurzer Zeitraum zwischen der Entwicklung des gesetzgeberischen Willens, dem Inkrafttreten der Regelung und ihrem dann auftretenden Auslegungsbedarf liegt.

[1] Z. B. BVerfG v. 11. 6. 1980, 1 PBvU 1/79, BVerfGE 54, 277; BFH v. 30.9.2015, II R 13/14, BFH/NV 2016, 362 m. w. N.
[2] Eingehend zur Bedeutung der Gesetzesmaterialien Wischmeyer, JZ 2015, 957
[6] Objektivierter Wille; s. Rz. 135.
[7] Näher BFH v. 25.6.2001, II B 40/00, BFH/NV 2001, 1378; BFH v. 20.4.2004, VII R 54/03, BFH/NV 2004, 1607; vgl. auch Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 AO Rz. 232.
[8] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 AO Rz. 294.
[9] Z. B. BVerfG v. 14.2.1973, 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269.

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