Leitsatz (amtlich)

Aussetzungszinsen sind nicht zu entrichten, wenn die Klage durch Änderung des angefochtenen Steuerbescheides (§ 94 AO) in der Hauptsache erledigt worden ist.

 

Normenkette

FGO § 112

 

Tatbestand

Zu entscheiden war, ob Aussetzungszinsen nach § 112 FGO auch dann zu entrichten sind, wenn die Klage nicht rechtskräftig abgewiesen, sondern durch Änderung des angefochtenen Steuerbescheides nach § 94 AO in der Hauptsache erledigt worden ist.

Der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige) hatte gegen den Einkommensteuerbescheid 1961 wegen eines streitigen Betrages von 43 184 DM Sprungberufung eingelegt. Der Revisionskläger (FA) hatte die Vollziehung des Bescheides durch Verfügung vom 9. Januar 1964 nach § 251 Satz 1 AO a. F. ausgesetzt. Im Januar 1966 einigten sich die Beteiligten. Das FA änderte den angefochtenen Bescheid dahin ab, daß der Steuerpflichtige 27 400 DM des streitigen Betrages zu zahlen hatte. Die außergerichtlichen Kosten sollte jede Partei selbst tragen. Nach Erledigung der Hauptsache legte das FG dem Kläger durch Beschluß 6/10 der Gerichtskosten auf.

Mit Verfügung vom 28. April 1967 erhob das FA wegen der zu zahlenden 27 400 DM unter Hinweis auf § 112 FGO in Verbindung mit § 5 StSäumG Aussetzungszinsen in Höhe von 4 247 DM.

Nach erfolglosem Einspruch gegen diese Verfügung gab das FG der Klage statt.

Zur Begründung seiner Revision trägt das FA vor. Aus der Entstehungsgeschichte des § 112 FGO ergebe sich, daß die Abweichung seines Wortlauts von dem des § 251a AO a. F. ("soweit ein Rechtsmittel endgültig keinen Erfolg hatte, ...") lediglich eine redaktionelle Änderung bedeute, nicht aber eine Rechtsänderung habe herbeiführen sollen. Auch der "Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der FGO, der AO und anderer Gesetze" sehe vor, in § 112 FGO die Worte "rechtskräftig abgewiesen worden ist" durch die Worte "endgültig keinen Erfolg gehabt hat" zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

Nach § 112 FGO sind Zinsen für den geschuldeten Abgabenbetrag, wegen dessen die Vollziehung ausgesetzt wurde, nur zu zahlen, soweit eine Anfechtungsklage rechtskräftig abgewiesen worden ist.

Die Vorschrift regelt also nicht die Fälle der außergerichtlichen Erledigung der Hauptsache und der Klagerücknahme. Sie unterscheidet sich also im Wortlaut von § 251a AO a. F., nach dem Zinsen zu entrichten waren, "soweit ein Rechtsmittel endgültig keinen Erfolg hatte". Diese Abkehr von dem Wortlaut des § 251a AO a. F. kann nicht als bloße redaktionelle Neufassung angesehen werden. Zu diesem Ergebnis führen auch die folgenden Überlegungen.

Im Gegensatz zu der Regelung in § 112 FGO sind in § 111 FGO für die Erstattungszinsen die Fälle der anderweitigen Änderung eines Verwaltungsaktes eindeutig zugunsten der Steuerpflichtigen behandelt; zuviel entrichtete Beträge werden ab Rechtshängigkeit nach § 111 Abs. 2 FGO auch dann verzinst, wenn das gerichtliche Verfahren nicht durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung beendet wurde, sondern die Abgabeschuld durch Änderung des Verwaltungsaktes nach §§ 93 und 94 AO herabgesetzt worden war. Diese Regelung übernahm der Gesetzgeber der FGO aus § 155 AO a. F., wobei er dessen ungenaue Verweisung auf § 94 Abs. 2 AO in dem Sinne klarstellte, daß nunmehr jede Änderung nach §§ 93 und 94 AO die Zinspflicht auslöst. Hätte der Gesetzgeber eine entsprechende Regelung auch für die Aussetzungszinsen gewollt, hätte er nur den Wortlaut des § 251a AO a. F. ("soweit ein Rechtsmittel endgültig keinen Erfolg hatte") in § 112 FGO zu übernehmen brauchen. Wenn er dies nicht tat, sondern die in § 251a AO a. F. seit dessen Einführung 1961 bestehende, im Wortlaut und Inhalt klare Fassung änderte und in § 112 FGO nunmehr auf die rechtskräftige Abweisung der Anfechtungsklage abstellte, muß darin eine Einengung der Voraussetzungen für die Zahlung von Aussetzungszinsen erblickt werden.

Zu Unrecht bezieht sich das FA auf die Entstehungsgeschichte der Bestimmungen über die Verzinsung. Während § 67 des Entwurfs einer Finanzgerichtsordnung (Bundestagsdrucksache IV/1446 S. 13) insoweit den Wortlaut des § 251a AO a. F. übernommen hatte, schlug der Rechtsausschuß vor, die Bestimmung des § 67 "aus systematischen Gründen" als § 106b in den Entwurf aufzunehmen (Bundestagsdrucksache IV/3523 S. 9). Als Begründung zu der Änderung im Wortlaut des nunmehrigen § 106b Abs. 1 verwies er auf die zu §§ 41, 43 und 49 genannten Gründe. Die Begründung des Rechtsausschusses zu § 49 lautet: "Die Änderungen der Vorschrift durch den Rechtsausschuß entsprechen dem Vorschlag des Finanzausschusses und verstärken den Rechtsschutz des Staatsbürgers." (Bundestagsdrucksache IV/3523 S. 6). Daraus muß entnommen werden, daß keine bloße redaktionelle Neufassung, sondern eine sachliche Änderung vorgenommen werden sollte, die die Rechtsstellung des Staatsbürgers stärkte.

Die in § 112 FGO getroffene Entscheidung des Gesetzgebers, bei außergerichtlicher Erledigung - im Gegensatz zu der Regelung bei Erstattungszinsen - dem Steuerpflichtigen keine Aussetzungszinsen aufzuerlegen, kann auf der unterschiedlichen Stellung von FA und Steuerpflichtigem im Steuerstreitverfahren beruhen. Ob sie gerechtfertigt und zweckmäßig ist, hat der Senat nicht zu entscheiden. Sie ist jedenfalls nicht so sinnwidrig, daß eine Auslegung gegen den Gesetzeswortlaut vertreten werden könnte. Da eine außergerichtliche Erledigung nicht ohne Zustimmung der Finanzverwaltung möglich ist, hat es das FA in der Hand, auf einer rechtskräftigen Entscheidung über die Klage zu bestehen und damit die Zahlung der Aussetzungszinsen auszulösen. Das FA braucht die bei einer außergerichtlichen Erledigung fehlende Verzinsung des ausgesetzten Betrages auch nicht als Hemmnis bei Vergleichsbestrebungen zu betrachten. Denn es kann, wenn es im Laufe des Verfahrens zu der Einsicht kommt, daß der Steuerpflichtige zum Teil recht hat, durch entsprechenden Vortrag zur schnelleren Erledigung des Verfahrens beitragen. Wenn sich das FA aber zu einer außergerichtlichen Einigung entschließt, so daß der Rechtsstreit in der Hauptsache seine Erledigung findet, oder einer Rücknahme der Klage in den Fällen des § 72 Abs. 1 Satz 2 FGO zustimmt, nimmt es damit den Fortfall der Aussetzungszinsen in Kauf.

 

Fundstellen

BStBl II 1971, 2

BFHE 1971, 234

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