Übergang von der Zusammenveranlagung zur Einzelveranlagung

Wird ein Zusammenveranlagungsbescheid während des Klageverfahrens aufgehoben und werden stattdessen Einzelveranlagungsbescheide erlassen, dann werden diese nicht gemäß § 68 Satz 1 FGO zum Gegenstand des Klageverfahrens.

Hintergrund: Gesetzliche Regelung

Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt gemäß § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens. Ein Einspruch gegen den neuen Verwaltungsakt ist insoweit ausgeschlossen (§ 68 Satz 2 FGO).

Sachverhalt: Rechtsstreit (zunächst) wegen steuerlicher Behandlung von Arbeitslohn

Die Kläger, ein Ehepaar, wählten zunächst im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2016 (Streitjahr) die Zusammenveranlagung. Zwischen ihnen und dem Finanzamt (FA) entstand insbesondere Streit über die steuerliche Behandlung des Arbeitslohns des Klägers, den dieser aus seiner Tätigkeit in Frankreich bezogen hatte. Der Kläger ging abkommensrechtlich von einer Ansässigkeit in Frankreich aufgrund seines dort liegenden Mittelpunkts der Lebensinteressen und einem daraus resultierenden Besteuerungsrechts Frankreichs aus.

Das FA folgte dem nicht. Es unterwarf die fraglichen Einkünfte der deutschen Besteuerung und rechnete die gezahlte französische Steuer an. Der gegen den Zusammenveranlagungsbescheid gerichtete Einspruch der Kläger blieb erfolglos, weshalb beide Ehegatten Klage erhoben.

Die Kläger begründeten ihre Klage gegen den Zusammenveranlagungsbescheid und beantragten „vorbehaltlich einer Erweiterung des Klageantrags“, den Zusammenveranlagungsbescheid dahingehend abzuändern, dass die Einkommensteuer unter Freistellung der Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit des Ehemannes nach § 32b Abs. 1 EStG niedriger festgesetzt wird.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem FG stellten die Kläger den davon abweichenden Antrag, „den Einkommensteuerbescheid 2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Kläger nach § 26 Abs. 2 EStG einzeln zur Einkommensteuer zu veranlagen sowie gemäß § 26a Abs. 2 EStG den Abzug der Sonderausgaben, der außergewöhnlichen Belastungen und der Steuerermäßigung nach § 35a EStG jeweils zur Hälfte zu berücksichtigen und beim Kläger die Einkommensteuer unter Freistellung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nach § 32b Abs. 1 und § 34 EStG und unter Anwendung der tariflichen Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 32d Abs. 6 EStG niedriger festzusetzen“.

Entsprechend dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag der Kläger hob das FA den angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2016 auf. Gleichzeitig erklärte es den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Einzelveranlagungsbescheide für die Kläger erließ das FA ebenfalls.

Die Kläger teilten mit, dass sie den Rechtsstreit nicht in der Hauptsache für erledigt erklären würden. Der Rechtsstreit sei entgegen der Auffassung des FA durch den Erlass der Einzelveranlagungsbescheide nicht beendet worden. Vielmehr ersetzten die Einzelveranlagungsbescheide den Zusammenveranlagungsbescheid und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung. Die Einzelveranlagungsbescheide seien keine Änderungsbescheide, sondern den ursprünglichen Zusammenveranlagungsbescheid ersetzende Bescheide.

Das FG wies die Klage ab. Es ging hierbei davon aus, dass die Einzelveranlagungsbescheide nicht i. S. d. § 68 FGO zum Verfahrensgegenstand geworden waren und die Kläger mit der Aufhebung des Zusammenveranlagungsbescheids klaglos gestellt worden sind.

Dagegen wenden sich die Kläger mit ihrer Revision. Sie rügen insbesondere eine Verletzung des § 68 FGO.

Entscheidung: Revision ist unbegründet

Die Revision ist unbegründet. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Einzelveranlagungsbescheide nicht gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens geworden sind. Da sich der Rechtsstreit durch die vom FA vorgenommene Aufhebung des angefochtenen Zusammenveranlagungsbescheids erledigt hatte, hat das FG die Klage zutreffend als unzulässig abgewiesen.

Die Begriffe „geändert“ und „ersetzt“ werden in § 68 FGO nicht definiert. Nach ständiger Rechtsprechung sind diese mit Rücksicht auf den Zweck des § 68 FGO, der verhindern will, dass der Kläger gegen seinen Willen aus dem Klageverfahren gedrängt wird, weit auszulegen. Die Vorschrift verlangt keine inhaltliche Einwirkung des ersetzenden oder ändernden Bescheids auf den ursprünglichen Bescheid. Ausreichend ist es, wenn beide Bescheide „dieselbe Steuersache“, d. h. dieselben Beteiligten und denselben Besteuerungsgegenstand, betreffen. Beide Verwaltungsakte müssen lediglich einen (zumindest partiell) identischen Regelungsbereich haben, damit es zum Austausch des Verfahrensgegenstands kommt.

Die Anwendung des § 68 Satz 1 FGO ist ausgeschlossen, wenn, wie im Streitfall, der von beiden Eheleuten als einfache Streitgenossen angefochtene Zusammenveranlagungsbescheid während des Klageverfahrens aufgehoben wird, weil die Eheleute von ihrem Veranlagungswahlrecht nach § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG (erneut) Gebrauch gemacht und die Einzelveranlagung gewählt haben und das FA dementsprechend Einzelveranlagungsbescheide erlassen hat.

Im Streitfall weder Änderung noch Ersetzung erfolgt

Ein Fall der „Änderung“ im Sinne des § 68 FGO liegt unstreitig nicht vor. Denn mit der Wahl der Einzelveranlagung wird nicht ein zuvor ergangener Zusammenveranlagungsbescheid geändert. Vielmehr ist dieser aufzuheben und es sind neue (Einzel‑)Veranlagungsverfahren durchzuführen. Grund dafür ist die Wesensverschiedenheit der verschiedenen Veranlagungsarten.

Diese Wesensverschiedenheit steht aber auch der Annahme entgegen, dass in der Konstellation des Streitfalls von einer „Ersetzung“ i. S. d. § 68 FGO auszugehen ist. Denn „Wesensverschiedenes“ lässt sich ersichtlich nicht als „dieselbe Steuersache“ qualifizieren.

Maßgeblich für die Beurteilung, ob es sich um „dieselbe Steuersache“ handelt, ist nicht der Erlass der Einzelveranlagungsbescheide, sondern die (neue) Wahlrechtsausübung durch die Ehegatten. Bereits die zulässige Wahl der Einzelveranlagung führt zur Begründetheit des gegen den Zusammenveranlagungsbescheid gerichteten Anfechtungsbegehrens. Der Antrag auf Änderung der Veranlagungsart ist nicht als Anfechtung der Steuerfestsetzung zu verstehen, sondern als ein auf Durchführung einer erneuten Veranlagung in einer bestimmten Veranlagungsart gerichtetes Verpflichtungsbegehren. Die Änderung der Veranlagung erschöpft sich auch nicht in der Änderung eines bereits ergangenen Bescheids. Vielmehr führt sie zu einem neuen Veranlagungsverfahren.

Das diesem Verpflichtungsbegehren zugrunde liegende Veranlagungswahlrecht betrifft eine die gesamte Veranlagung betreffende Ordnung (Verbindung oder Trennung) der steuerlichen Verhältnisse zweier Personen. Dabei führt die Wahl der Zusammenveranlagung zur vollen Berücksichtigung des Transfers steuerlicher Leistungsfähigkeit im Rahmen der Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft der Ehegatten, die Wahl der Einzelveranlagung dagegen nur zu einer Teilberücksichtigung dieses Transfers.

Darin zeigt sich, dass es sich bei der Anfechtung des Zusammenveranlagungsbescheids und der dort im Streit stehenden materiellen Besteuerungsgrundlagen im Vergleich zu dem durch die (erneut) ausgeübte Wahl der Veranlagungsart ausgelösten neuen Veranlagungsverfahren, in dem es um die Grundordnung der steuerlichen Verhältnisse zweier Personen geht, nicht um „dieselbe Steuersache“ handelt.

Auch großzügige Auslegung des Begriffs „Ersetzung“ rechtfertigt kein anderes Ergebnis

Die von der Revision angemahnte großzügige Auslegung des Begriffs der Ersetzung rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Denn eine weite Auslegung ist „nur“ zur Entfaltung des Zwecks des § 68 FGO geboten. Dieser besteht im Wesentlichen darin, den Kläger zu schützen. Durch eine Änderung oder Ersetzung des angefochtenen Bescheids soll die Finanzbehörde nicht das Ende des laufenden Prozesses herbeiführen, den Kläger aus dem Verfahren hinauswerfen und zum Ausgangspunkt zurückzwingen können. Bei einer (erneuten) Wahl der Veranlagung ist es aber nicht das FA, sondern der klagende Steuerpflichtige, der das Ende des laufenden Prozesses herbeiführt.

Aufhebung des Zusammenveranlagungsbescheids fällt hingegen unter § 68 FGO

Wie die Vorinstanz richtig entschieden hat, ist § 68 FGO im Streitfall allerdings im Hinblick auf den Bescheid, mit dem der Zusammenveranlagungsbescheid aufgehoben wurde, anzuwenden. Denn hierbei handelt es sich um einen ersetzenden Bescheid i. S. d. § 68 FGO. Zusammenveranlagungsbescheid und Aufhebung dieses Bescheids sind nicht wesensverschieden, sondern zeichnen sich durch eine vollständige Identität des Regelungsgegenstands (positive beziehungsweise negative Entscheidung über die Voraussetzungen einer Zusammenveranlagung) und der Beteiligten aus.

Hinweis: Klaglosstellung der Kläger

Mit dem zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Aufhebungsbescheid sind die Kläger hinsichtlich ihrer Anfechtungsklage gegen den Zusammenveranlagungsbescheid klaglos gestellt worden. Da die Kläger nicht die Erledigung der Hauptsache erklärt, sondern einen Sachantrag hinsichtlich der nicht zum Verfahrensgegenstand gewordenen Einzelveranlagungsbescheide gestellt haben, war ihre Klage abzuweisen.

BFH, Urteil v. 25.10.2023, I R 38/20; veröffentlicht am 29.2.2024

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