Bauabzugsteuer - Zahlungen an eine inaktive ausländische Domizilgesellschaft
Hintergrund: Zahlungen für Bauleistungen an eine inaktive Domizilgesellschaft
Zu entscheiden war, ob die von der inländischen E-KG (Bauträgergesellschaft) an britische Subunternehmer geleisteten Zahlungen in voller Höhe als Betriebsausgaben abziehbar oder wegen unterlassener Empfängerbenennung zu kürzen sind.
Die E-KG bediente sich für die Realisierung diverser Großobjekte britischer Subunternehmer und berücksichtigte für 2002 Zahlungen an diese als Betriebsausgaben (rund 950.000 EUR). Bei den britischen Firmen handelte es sich um wirtschaftlich inaktive Briefkasten-/Domizilgesellschaften. E meldete für diese Zahlungen in 2003 Bauabzugsteuer in gesetzlicher Höhe (15 %) an und führte diese ab.
Bei einer Außenprüfung wurde festgestellt, dass die Zahlungen an die britischen Firmen auf inländische Konten erfolgt waren. Ein an die E gerichtetes Benennungsverlangen zur Feststellung der aus den Zahlungen tatsächlich begünstigten Personen führte zu keinem Ergebnis. Das FA kürzte darauf im Gewinnfeststellungsbescheid 2002 die Zahlungen an die Subunternehmer nach § 160 Abs. 1 Satz 1 AO um 70 % (665.000 EUR). Das FG gab der Klage im ersten Rechtsgang statt. Der BFH hob dieses Urteil (aus verfahrensrechtlichen Gründen) auf und verwies die Sache an das FG zurück (BFH, Urteil v. 07.06.2018, IV R 11/16, BFH/NV 2018 S. 1156). Auch im zweiten Rechtsgang gab das FG der Klage in vollem Umfang statt.
Das FG vertrat die Auffassung, § 160 Abs. 1 Satz 1 AO sei nach § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG nicht anwendbar, auch wenn es sich bei den britischen Subunternehmen um inaktive Domizilgesellschaften handeln sollte.
Entscheidung: Domizilgesellschaft als Bauleistender
Der BFH wies die Revision des FA als unbegründet zurück. Der Betriebsausgabenabzug nach § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG ist auch dann nicht nach § 160 Abs. 1 Satz 1 AO versagt, wenn die Zahlungen an inaktive ausländische Domizilgesellschaften erfolgt sind.
Wörtliche Auslegung
Leistender i.S. des § 48 Abs. 1 EStG kann nicht nur derjenige sein, der - wie Satz 1 bestimmt - die Bauleistung erbringt. Vielmehr "gilt" nach der Fiktion in § 48 Abs. 1 Satz 4 EStG als Leistender auch derjenige, der über eine Leistung abrechnet, ohne sie erbracht zu haben. Damit wird derjenige, der die Rechnung erstellt, unabhängig von der Erbringung der Bauleistung zum Leistenden (fiktiv wirtschaftlich Leistender). Demnach werden auch inaktive ausländische Domizilgesellschaften und Briefkastenfirmen, die die Bauleistung nicht selbst erbringen, vom Anwendungsbereich des § 48 Abs. 1 EStG erfasst. Weiter ordnet der Wortlaut des § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG (vorbehaltlos) als Rechtsfolge an, dass § 160 Abs. 1 Satz 1 AO nicht anzuwenden ist. Er enthält keine Einschränkung, wonach § 160 Abs. 1 Satz 1 AO nur bei Zahlungen an einen bestimmten Personenkreis keine Anwendung finden soll.
Historische und teleologische Auslegung
Dieses Wortlautergebnis wird durch die historische und teleologische Auslegung des § 48 EStG bestätigt. Dem Gesetzgeber war die Gefahr von Steuerausfällen bei Einschaltung ausländischer Domizilgesellschaften und die beim Auftraggeber entstehende Problematik der Versagung des Betriebsausgabenabzugs nach § 160 Abs. 1 Satz 1 AO bekannt. Der Gesetzgeber wollte mit dem Steuerabzug gegen inaktive ausländische Domizilgesellschaften und Scheinfirmen vorgehen, zugleich den Leistungsempfänger aber aus der "Gefährdungshaftung" des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO entlassen und seinen Betriebsausgabenabzug sicherstellen.
Die Bauabzugsteuer bezweckt daher einerseits, durch den Steuerabzug an der Quelle die ESt/KSt des Leistenden zu sichern und andererseits dem Auftraggeber Rechtssicherheit für den Betriebsausgabenabzug zu gewähren, und zwar unabhängig davon, ob die Zahlungen an den wirtschaftlich Leistenden oder an eine inaktive ausländische Domizilgesellschaft als fiktiv Leistenden erfolgen. Den Gesetzesmaterialien lässt sich keine Einschränkung entnehmen, dass mit dem Leistenden i.S. des § 48 Abs. 1 Satz 4 EStG nur Generalunternehmen oder Inkassofirmen gemeint sein könnten.
Kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz
Die vom BFH vertretene Auslegung zu § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Privilegierung der Auftraggeber von Bauleistungen gegenüber den Auftraggebern von Leistungen aus anderen Dienstleistungssektoren, die bei Zahlungen an inaktive Domizilgesellschaften mit einer Versagung des Betriebsausgabenabzugs nach § 160 Abs. 1 Satz 1 AO zu rechnen haben, verletzt nicht den Gleichheitssatz. Die Ungleichbehandlung ist durch den mit § 48 EStG verfolgten Lenkungszweck sachlich gerechtfertigt. Das Steuerabzugsverfahren soll illegale Vorgänge im Baugewerbe eindämmen. Eine Sonderregelung für diesen Sektor war infolge der dort festgestellten gravierenden Missstände gerechtfertigt. Der BFH erachtet es daher als sachgerecht, durch die Beschränkung auf das Baugewerbe die Zielgenauigkeit der Regelung zu erhöhen und den Vorgaben der EU-Kommission zu entsprechen (BTDrucks 14/4658, S. 9).
Hinweis: Übereinstimmung mit der Verwaltungsanweisung
Nach dem BMF-Schreiben v. 19.07.2022, BStBl I 2022 S.1229, Tz. 23, 24, ist der Steuerabzug vom Leistungsempfänger unabhängig davon durchzuführen, ob der Leistende im Inland oder im Ausland ansässig ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Leistende überwiegend Bauleistungen erbringt. Als Leistender gilt auch derjenige, der über eine Leistung abrechnet, ohne sie selbst erbracht zu haben (Tz 24).
Gestaltungsmissbrauch
Der BFH lässt offen, ob und inwieweit § 42 AO neben § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG anwendbar ist. Z.T wird vertreten, die Anwendung des § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG sei unter dem Gesichtspunkt des Gestaltungsmissbrauchs bedenklich, wenn der Bauleistungsempfänger § 48 Abs. 4 Nr. 1 EStG "instrumentalisiere" und sich den Abzug entgegen § 160 AO im Zusammenwirken mit einer formal als Subunternehmer eingeschalteten Domizilgesellschaft rechtsmissbräuchlich erschleiche. Im Streitfall lagen insoweit keine Anhaltspunkte vor.
BFH Urteil vom 09.06.2022 - IV R 4/20 (veröffentlicht am 15.09.2022)
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