3.3.1 Grundlagen

 

Rz. 54

Die Steuerhinterziehung kann nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO auch dadurch begangen werden, dass jemand die Finanzbehörden (s. Rz. 48) über steuerlich erhebliche Tatsachen (s. Rz. 46) in Unkenntnis lässt. Geahndet wird hier die Verletzung der Wahrheitspflicht (s. Rz. 3) durch Unterlassen der gesetzlich geforderten Offenbarung. Die Unkenntnis des zuständigen Amtsträgers der Finanzbehörde hinsichtlich der einzelnen Besteuerungsgrundlage und damit ein Irrtum über Sachverhaltsumstände ist nicht erforderlich[1]. Im Übrigen kann eine die Steuerhinterziehung ausschließende Kenntnis des zuständigen Amtsträgers nur dann angenommen werden, wenn er positive Kenntnis aller für die Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen notwendigen Tatsachen hat und diese Kenntnis durch ihm verfügbare Beweismittel i. S. d. § 90 AO untermauert wird[2]. Bei einer unberechtigten Geltendmachung von Vorsteuern muss dem zuständigen Amtsträger die einzelne Rechnung bekannt sein, aus der unberechtigt die Vorsteuer gezogen worden ist[3].

Die Steuerhinterziehung durch pflichtwidriges Unterlassen setzt das Bestehen einer gesetzlichen Handlungspflicht voraus[4]. Die irrtümliche Annahme der Handlungspflicht führt zu einem Tatbestandsirrtum (s. Rz. 131) und nicht zu einem Wahndelikt (s. Rz. 139).

 

Rz. 55

Täter der Steuerhinterziehung durch Unterlassen kann nur der Träger der steuerlichen Pflicht sein, gegen die verstoßen worden ist (s. Rz. 23). Die durch Steuergesetz (s. Rz. 23) begründete Pflicht muss dazu dienen, die Finanzbehörde über steuerlich erhebliche Tatsachen in Kenntnis zu setzen. Sie muss eine steuerliche Rechtspflicht zur Offenbarung durch aktives Handeln begründen. Täter kann nur jemand sein, der zur Sachverhaltsaufklärung besonders verpflichtet ist[5].

 

Rz. 56

Die in § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zugrunde gelegte Rechtspflicht ist ein tatbezogenes persönliches Merkmal, allerdings kein besonderes persönliches Merkmal i. S. v. § 28 Abs. 1 StGB. Es ist weder mit der besonderen Pflicht des Amtsträgers bei den Amtsdelikten oder des Täters einer Untreue nach § 266 StGB (s. Rz. 261) vergleichbar noch mit der des Garanten eines sonstigen unechten Unterlassungsdelikts[6].

[1] S. Rz. 39; a. A. Joecks, in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, 7. Aufl. 2009, § 370 AO Rz. 157.
[2] BGH v. 19.10.1999, 5 StR 178/99, BStBl II 1999, 854; s. auch BayObLG v. 14.3.2002, 4 St RR 8/2002, DStRE 2002, 1214.
[3] Meyer, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 370 AO Rz. 86.
[4] S. Rz. 37; vgl. BGH v. 4.4.1979, 3 StR 488/78, HFR 1979, 389; Lammerding, DB 1982, 1346; zur Einschränkung der Strafbarkeit der Nichtabgabe von Steuererklärungen nach Einleitung des Strafverfahrens s. Rz. 58a.
[5] BGH v. 12.11.1986, 3 StR 405/86, wistra 1987, 147 m. w. N.; zur Übertragbarkeit der Gestellungspflicht im Versandverfahren auf den Warenempfänger s. OLG Stuttgart v. 30.10.1987, 1 Ss 466/87, wistra 1988, 80.
[6] S. § 369 AO Rz. 30; BGH v. 25.1.1995, 5 StR 491/94, HFR 1995, 753.

3.3.2 Beispiele

3.3.2.1 Nichtabgabe von Steuererklärungen

 

Rz. 57

Ist ein Stpfl. nach § 149 S. 1 AO i. V. m. einer Vorschrift eines Einzelsteuergesetzes[1] oder nach § 149 S. 2 AO aufgrund einer Aufforderung der Finanzbehörde zur Abgabe einer Steuererklärung (s. Rz. 50) verpflichtet, so lässt er, wenn er die Erklärung nicht abgibt, die Finanzbehörde pflichtwidrig in Unkenntnis über die Tatsachen, die in der Steuererklärung anzugeben wären (zum Taterfolg Rz. 84). Der objektive Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ist durch das Unterlassen der Erklärungsabgabe erfüllt[2].

Das gilt auch für die Nichtabgabe von Steueranmeldungen (s. Rz. 50; § 150 Abs. 1 S. 2 AO), also z. B. die Nichtabgabe von LSt-Anmeldungen, USt-Voranmeldungen, Anmeldungen der "Künstlersteuer" nach § 50a Abs. 4 EStG i. V. m. §§ 73ff. EStDV[3] und die USt-Anmeldung nach § 18 Abs. 1 UStG.

 

Rz. 58

Die Steuerhinterziehung durch Nichtabgabe der Steuererklärung setzt das Bestehen der Steuererklärungspflicht voraus[4]. Bei der Nichtabgabe ist die Finanzbehörde befugt, die Steuerfestsetzung im Weg der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen[5] vorzunehmen. Diese geschätzte Steuerfestsetzung lässt nach § 149 Abs. 1 S. 4 AO die Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung unberührt (s. § 149 AO Rz. 5), sodass das Unterlassen der Abgabe weiterhin pflichtwidrig bleibt[6].

 

Rz. 58a

Dies ändert sich gem. § 393 Abs. 1 AO grundsätzlich auch nicht durch die Einleitung des Steuerstrafverfahrens (s. § 397 AO Rz. 4).

Dieser Fortbestand der steuerlichen Erklärungspflicht gilt strafrechtlich allerdings dann nicht, wenn der Beschuldigte durch die nachträgliche Erfüllung der steuerlichen Pflicht seine vorausgegangene Steuerhinterziehung vollständig oder teilweise offenbaren müsste[7]. Ist also gegen den Beschuldigten ein Strafverfahren wegen des Verdachts der USt-Hinterziehung durch Abgabe unrichtiger USt-Voranmeldungen eingeleitet und bekannt gegeben worden[8], so ist die Nichtabgabe der USt-Jahreserklärung für den Zeitraum, in den die betreffenden USt-Voranmeldungen gehören, strafrechtlich nicht pflichtwidrig[9]. Ist gegen den Beschuldigten ein Strafverfahren wegen ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge