2.2.2.1 Begriffsbestimmung

 

Rz. 11

Die Einschränkung des § 351 Abs. 1 AO greift ferner nur dann ein, wenn ein ändernder Verwaltungsakt angefochten wird. Die Bestimmung des Begriffs "Änderung" i. S. d. Vorschrift wird dadurch erschwert, dass das Gesetz und die Verwaltungspraxis hinsichtlich der Terminologie für die Korrektur von Verwaltungsakten nicht konsequent verfahren. So werden die Begriffe "Aufhebung", "Änderung", "Berichtigung", "Rücknahme", "Widerruf" oder "Ersetzung" teilweise ohne exakte Systematisierung nebeneinander verwendet, obgleich sie sich in ihrer rechtlichen Wirkung unterscheiden. Demgemäß ist in der Rspr. auch der Anwendungsbereich des § 351 Abs. 1 AO umstritten.

 

Rz. 12

Für die Inhaltsbestimmung der "Änderung" i. S. v. § 351 Abs. 1 AO ist im Hinblick auf den uneinheitlichen Sprachgebrauch die Bezeichnung in der jeweiligen Korrekturbestimmung oder in dem Änderungsbescheid kein geeignetes Abgrenzungskriterium. Es ist vielmehr auf den Sinn und Zweck der Vorschrift abzustellen, wonach der bestandskräftige Regelungsinhalt des Erstbescheids nicht mehr in den Streit über den Änderungsbescheid einbezogen werden soll.[1] Entscheidendes Kriterium ist demgemäß allein die Fortdauer der bestandskräftigen Regelung, die durch die "Änderung" eine inhaltliche Umgestaltung erfährt.[2] Hierbei ist der rechtstheoretische Streit, ob der Erstbescheid wirksam bleibt und insoweit im Änderungsbescheid irrelevant wiederholt wird[3], oder ob der Regelungsinhalt des Erstbescheids in den Änderungsbescheid aufgenommen und insoweit dessen rechtliche Wirksamkeit suspendiert wird[4], für § 351 Abs. 1 AO ohne Bedeutung, denn in jedem Fall bleibt der Regelungsinhalt des Erstbescheids existent.

Eine Änderung i. S. v. § 351 Abs. 1 AO liegt dann vor, wenn der Regelungsinhalt des Verwaltungsakts rechtlich existent bleibt, jedoch durch den neuen Verwaltungsakt inhaltlich modifiziert wird. § 351 Abs. 1 AO findet allerdings auch auf solche Bescheide Anwendung, die den Regelungsgehalt eines unanfechtbaren Steuerbescheids durch erneute Bekanntgabe als selbstständiger Verwaltungsakt unverändert wiederholen.[5]

 

Rz. 12a

Eine Änderung i. d. S. liegt aber nicht vor, wenn ein wirksamer Verwaltungsakt nach den §§ 130, 131 AO vollständig zurückgenommen, widerrufen[6] oder nach den §§ 172ff. AO aufgehoben wird und die Behörde anschließend eine "Neuregelung" trifft, in der sie, eventuell modifiziert, den "alten" Regelungsinhalt wiederholt oder ersetzt. Hier ist zwar inhaltlich auch nur eine "Änderung" vorgenommen worden, aber in diesem Fall der "Ersetzung"[7] sieht § 351 Abs. 1 AO eine Einschränkung des Rechtsschutzes nicht vor.

Besondere praktische Bedeutung hat der Meinungsstreit für das Einspruchsverfahren gegen Haftungsbescheide, deren Korrektur nach den §§ 130, 131 AO erfolgen muss[8], und es demgemäß umstritten ist, ob § 351 Abs. 1 AO eingreift oder ob gegen den "neuen" Haftungsbescheid erneut alle gegen den Haftungsgrund bestehenden Einwendungen erhoben werden können.

[1] S. Rz. 4.
[3] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 351 AO Rz. 2 m. w. N.
[5] Tappe, in HHSp, AO/FGO, § 351 AO Rz. 44.
[7] S. hierzu § 365 AO Rz. 18ff.

2.2.2.2 Änderungsbestimmungen

 

Rz. 14

§ 351 Abs. 1 AO ist anwendbar bei folgenden "ändernden" Verwaltungsakten:

Als inhaltliche Änderung i. S. dieser Bestimmung ist unstreitig auch die Berichtigung nach § 129 AO anzusehen.[6]

Gleiches gilt bei Erlass eines Ergänzungsbescheids.[7]

Auch auf den Abhilfebescheid, den die Finanzbehörde zum Zweck der Erledigung eines Einspruchsverfahrens erlassen hat[8], ist § 351 Abs. 1 AO anwendbar, wenn durch übereinstimmende Erledigungserklärung der angefochtene Verwaltungsakt mit dem modifizierten Inhalt bestandskräftig geworden ist.[9]

[6] BFH v. 13.12.1983, VIII R 67/81, BStBl II 1984, 511; AEAO Nr. 3 zu § 351 AO; Thiel, DB 1978, 1611; Bartone, in Beermann/Gosch, AO, § 351 AO Rz. 11; Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 351 AO Rz. 8.
[7] § 179 Abs. 3 AO; hinsichtlich der im Übrigen bestandskräftigen Feststellungen vgl. BFH v. 14.8.1975, IV R 150/71, BStBl II 1976, 764.
[9] FG Berlin v. 2.6.1986, VIII 12/85, EFG 1986, 610; FG B...

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