1 Grundlagen

1.1 Zweck der Regelung

 

Rz. 1

Der formelle Rechtsschutz wird durch Art. 19 Abs. 4 GG nur insoweit garantiert, als der Bürger durch die öffentlich-rechtlichen Maßnahmen der Finanzbehörde in seinen eigenen Rechten verletzt wird. § 350 AO regelt unter diesem Gesichtspunkt die Befugnis zur Einspruchseinlegung und schränkt diese ein. Es muss von demjenigen, der durch die Regelung des den Gegenstand des Einspruchsverfahrens bildenden Verwaltungsakts betroffen ist, ein individuelles Rechtsschutzbedürfnis geltend gemacht werden. Für den Einspruchsführer muss eine Beeinträchtigung seiner eigenen steuerlichen Rechtsposition vorliegen[1], er muss unmittelbar und persönlich betroffen sein.[2]

 

Rz. 1a

Diese Einschränkung bewirkt einmal den Ausschluss von Einsprüchen zugunsten der Allgemeinheit ("Populareinsprüche")[3] und grundsätzlich auch den Ausschluss von Einsprüchen zugunsten Dritter ("Prozessstandschaft").[4] Die Wahrnehmung von Rechten Dritter ist im Einspruchsverfahren nicht statthaft, sondern nur die Wahrnehmung eigener Rechte. Der Einspruch ist für Personen ausgeschlossen, die durch einen angefochtenen Verwaltungsakt nicht selbst in einer Weise betroffen sind, die sich als Verletzung eigener Rechte darstellen könnte.[5]

1.2 Anwendungsbereich der Regelung

 

Rz. 1b

Die Regelung des § 350 AO gilt ausdrücklich nur für das Einspruchsverfahren. Das Rechtsschutzbedürfnis in Form der Antragsbefugnis muss neben den sonstigen Entscheidungsvoraussetzungen aber auch im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung gegeben sein.[1]

1.3 Verfahrensrechtliche Bedeutung der Regelung

 

Rz. 2

§ 350 AO trifft eine Grundsatzregelung für die Einspruchsbefugnis. Diese kann im Einzelfall durch Besonderheiten ausgeschlossen[1] oder durch gesetzliche Sonderregelungen modifiziert sein:

  • § 354 AO: Durch den Einspruchsverzicht entfällt die Einspruchsbefugnis.
  • § 351 Abs. 1 AO: Bei Änderungsbescheiden ist die Einspruchsbefugnis sachlich eingeschränkt.
  • § 351 Abs. 2 AO: Bei Grundlagen- und Folgebescheiden besteht die Einspruchsbefugnis nur hinsichtlich des Regelungsinhalts des jeweiligen Verwaltungsakts.
  • § 352 AO: Bei Feststellungsbescheiden ist die Einspruchsbefugnis persönlich eingeschränkt.[2]
 

Rz. 3

Die Einspruchsbefugnis ist Voraussetzung für die Durchführung des Einspruchsverfahrens, i. S. d. AO also eine Zulässigkeitsvoraussetzung.[3] Die Finanzbehörde hat deren Vorliegen demgemäß von Amts wegen zu prüfen.[4] Sie hat den Einspruch nach § 358 S. 2 AO als unzulässig zu verwerfen, wenn die Einspruchsbefugnis fehlt.[5] Der Finanzbehörde ist es verwehrt, in eine sachliche Prüfung des Einspruchsbegehrens einzutreten.[6] Auch eine Verböserung nach § 367 Abs. 2 S. 2 AO kömmt nur bei einem zulässigen Einspruch in Betracht.[7]

 

Rz. 3a

Die aus der Unzulässigkeit des Einspruchs resultierende Bestandskraft des Verwaltungsakts ist auch vom FG im Rahmen der Sachentscheidung von Amts wegen zu beachten.[8] Das FG ist an die Rechtsauffassung der Finanzbehörde über die Zulässigkeit des Einspruchs nicht gebunden, sondern hat eine eigene Entscheidung zu treffen. Fehlen die Sachentscheidungsvoraussetzungen, so ist es dem FG verwehrt, in eine sachliche Prüfung des Klagebegehrens einzutreten.[9] Das FG hat vielmehr den Rechtsbehelf durch Prozessentscheidung als unzulässig zu verwerfen. Es trifft also nur eine Entscheidung über die Zulässigkeit des Verfahrens, nicht aber eine Entscheidung über die Sache.

 

Rz. 3b

Auch der BFH hat nicht nur die Zulässigkeit des bei ihm eingelegten Rechtsmittels, sondern ebenfalls die Zulässigkeit des Einspruchs bei der Finanzbehörde von Amts wegen zu prüfen.[10] Er ist hierbei seinerseits an die Rechtsauffassung des FG nicht gebunden, sondern hat ebenfalls eine eigene Entscheidung zu treffen.[11] Die fehlerhafte Beurteilung einer Sachentscheidungsvoraussetzung durch das FG stellt einen Verfahrensmangel dar.[12]

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