Rz. 7

Die Wirkung der Hemmung im Regelungsbereich des § 230 Abs. 1 AO besteht darin, dass die Zeit, während der innerhalb der letzten sechs Monate höhere Gewalt bestand, bei der Berechnung des Ablaufs der Verjährungsfrist nicht mitgerechnet wird.[1] Der Lauf der Verjährungsfrist verlängert sich also um die Zeit während der letzten 6 Monate des Fristlaufs, in der der Anspruch wegen der höheren Gewalt nicht geltend gemacht werden konnte. Wenn und soweit die höhere Gewalt nach Ablauf des ursprünglichen Verjährungszeitpunkts fortbesteht, wird der infolge der Hemmung unverbrauchte Zeitraum erst von dem Zeitpunkt an der Verjährungsfrist hinzugerechnet, an dem der Hemmungsgrund weggefallen ist.[2]

Nach dem Wegfall der Hemmung läuft dementsprechend die bereits begonnene "alte Zahlungsverjährungsfrist" weiter.[3] Die Hemmung nach § 230 Abs. 1 AO bewirkt damit, anders als die Unterbrechung der Zahlungsverjährungsfrist nach § 231 AO, nur ein Ruhen bzw. einen Stillstand des Fristablaufs.[4]

 

Rz. 8

Der Auffassung, dass keine Hemmung nach § 230 AO eintritt, wenn die höhere Gewalt vor Ablauf der ursprünglichen Zahlungsverjährungsfrist endet[5], wird man nicht folgen können. Diese Ansicht würde zu schwer nachvollziehbaren Ergebnissen führen. Endet der die Hemmung begründende Sachverhalt am Tag vor Ablauf der regulären Zahlungsverjährungsfrist, hätte die Finanzverwaltung oder der Stpfl. einen Tag, um in allen betroffenen Steuerfällen wenigstens eine zahlungsverjährungsunterbrechende Maßnahme nach § 231 AO zu ergreifen. Besteht die Hemmung dagegen zwei Tage länger, stünde – je nach Zeitablauf des die Hemmung auslösenden Sachverhalts – eine bis zu einem halben Jahr verlängerte Zahlungsverjährungsfrist zur Verfügung (Rz. 7). Vollkommen unnachvollziehbar wird diese Rechtsansicht dann bei Verkürzung des Zeitraums vor und nach Ablauf der regulären Zahlungsverjährungsfrist auf die berühmte eine logische Sekunde.

Vielmehr wird man den Zeitraum innerhalb der letzten sechs Monate, in dem aufgrund der höheren Gewalt keine Handlungsfähigkeit bestand, ergänzend an das reguläre Ende der Verjährungsfrist anfügen müssen.[6] Damit wird erreicht, dass mindestens sechs Monate vor Ablauf der Verjährungsfrist zur Verfügung stehen, den Anspruch unbeeinflusst von der höheren Gewalt geltend zu machen. Zugleich kann die Verlängerung der Zahlungsverjährungsfrist nach Wegfall der Hemmung naturgemäß längstens sechs Monate betragen.[7]

 

Rz. 9

Durch die Hemmung kann die Zahlungsverjährungsfrist, die regelmäßig nur zum Ende eines Kalenderjahres abläuft[8], auch im Lauf eines Kalenderjahres enden.[9]

Rz. 10 und 11 einstweilen frei

[1] Vgl. § 209 BGB.
[2] Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 230 AO Rz. 1; Kögel, in Gosch, AO/FGO, § 230 AO Rz. 2; Koenig/Klüger, AO, 5. Aufl. 2024, § 230 Rz. 4.
[3] BFH v. 23.8.2022, VII R 46/20, BFH/NV 2023, 162; AEAO zu § 230 Nr. 1; Heuermann, in HHSp, AO/FGO, § 230 AO Rz. 1.
[4] Baum, in eKommentar, § 230 AO Rz. 1; Heuermann, in HHSp, AO/FGO, § 230 AO Rz. 5.
[5] So Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 230 AO Rz. 1; Baum, in eKommentar, § 230 AO Rz. 4.
[6] Heuermann, in HHSp, AO/FGO, § 230 AO Rz. 6; Koenig/Klüger, AO, 5. Aufl. 2024, § 230 Rz. 4; Kögel, in Gosch, AO/FGO, § 230 AO Rz. 2; Günther, AO-StB 2022, 21, 23; vgl. dazu auch die Regelung in § 209 BGB.
[7] Heuermann, in HHSp, AO/FGO, § 230 AO Rz. 6; Kögel, in Gosch, AO/FGO, § 230 AO Rz. 2; Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 230 AO Rz. 1.
[9] Heuermann, in HHSp, AO/FGO, § 230 AO Rz. 6; Kögel, in Gosch, AO/FGO, § 230 AO Rz. 2.

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