Rz. 16

Die beiden Tatbestände des § 177 in Abs. 1 und 2 AO sehen die Berichtigung von "materiellen Fehlern" vor. In der ursprünglichen Fassung des § 177 AO v. 16.3.1976 lautete die Bezeichnung "Rechtsfehler". Dadurch waren Zweifel entstanden, was unter Rechtsfehler zu verstehen sei; insbesondere war zweifelhaft geworden, ob Unrichtigkeiten i. S. d. § 129 AO unter den Begriff der Rechtsfehler fallen.[1]

Um hier Rechtssicherheit zu schaffen, ist der Begriff "Rechtsfehler" durch Gesetz v. 21.12.1993[2] durch den Begriff "materieller Fehler" ersetzt und gleichzeitig in einem neuen Abs. 3 definiert worden. Die Neuregelung ist nach Art. 97 § 1 Abs. 4 EGAO auf alle Verfahren anzuwenden, die am Tag des Inkrafttretens des Gesetzes, dem 30.12.1993, noch anhängig waren.

 

Rz. 17

Ein materieller Fehler ist nach der Legaldefinition des Abs. 3 jeder Fehler, durch den eine andere Steuer festgesetzt wird, als nach den gesetzlichen Regelungen tatsächlich entstanden ist. Maßgebend ist damit nur, dass die im Bescheid festgesetzte Steuer von der tatsächlich entstandenen Steuer abweicht; worauf diese Abweichung beruht, ist demgegenüber nicht von Bedeutung.[3] Ein materieller Fehler liegt daher vor, wenn die Steuerfestsetzung auf einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt beruht (Sachverhaltsfehler) oder das geltende Recht falsch angewandt worden ist (Rechtsfehler i. e. S.). Nach § 177 AO berichtigt werden kann daher z. B. die Steuerfestsetzung aufgrund von Tatsachen, die der Finanzbehörde bei Erlass des Steuerbescheids bekannt und daher nicht "neu" i. S. d. § 173 AO waren. Ein "Fehler" i. S. d. § 177 AO liegt auch vor, wenn ein Grundlagenbescheid nicht ausgewertet worden ist und dies wegen Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht mehr möglich ist.[4] Ein materieller Fehler liegt auch vor, wenn eine rechtmäßige tatsächliche Verständigung nicht oder nicht richtig umgesetzt worden ist.[5] Zur Berücksichtigung verjährter Steuern im Rahmen des § 177 AO vgl. Rz. 22.

 

Rz. 17a

§ 177 Abs. 3 AO definiert als rechtsfehlerhaft jede Steuer, die von der nach dem Gesetz entstandenen Steuer abweicht. Damit stellt sich die Frage, ob eine Fehler i. d. S. auch vorliegt, wenn die festgesetzte Steuer zwar von der gesetzlich entstandenen Steuer abweicht, dies aber rechtmäßig ist. Dieser Fall kann eintreten bei Schätzung der Steuer und bei Präklusion der Berücksichtigung bestimmter Tatsachen wegen Fristversäumung.[6]

Wird der Steuerbescheid anschließend aus anderen Gründen geändert, stellt sich die Frage, ob die präkludierten Tatsachen im Rahmen des § 177 AO zu berücksichtigen sind. M. E. ist diese Frage zu verneinen.[7] Aufgrund der rechtmäßigen Präklusion ist die Steuerfestsetzung richtig, d. h. es liegt kein materieller Fehler i. S. d. § 177 Abs. 3 AO mehr vor. Für das gerichtliche Verfahren ergibt sich dieses Ergebnis auch aus der Rechtskraft des Urteils, in dem unter Anwendung der Präklusion entschieden worden ist.

 

Rz. 18

Da nicht die Besteuerungsgrundlagen in Bestandskraft erwachsen, sondern nur die Höhe der Steuer bzw. der gesondert festgestellten Besteuerungsgrundlage, kommt es nicht darauf an, ob der nach § 177 AO zu berücksichtigende Fehler mit der Änderung in einem sachlichen Zusammenhang steht; im Rahmen des § 177 AO sind vielmehr innerhalb des Berichtigungsrahmens alle Fehler zu berichtigen.[8]

 

Rz. 19

Bei Beurteilung der Frage, ob ein Folgebescheid eine von der gesetzlichen Regelung abweichende Steuer festsetzt und daher einen "Fehler" aufweist, ist von der bestandskräftigen gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlagen auszugehen. Berücksichtigt der Folgebescheid die gesonderte Feststellung in zutreffender Weise, ist der Folgebescheid "richtig", weist daher keinen Fehler i. S. d. § 177 AO auf, und zwar auch dann nicht, wenn der Grundlagenbescheid materiell unrichtig ist.[9] Anderenfalls würde das Prinzip der gesonderten Feststellung durchbrochen, da dann bei Erlass oder Änderung des Folgebescheids die materielle Richtigkeit des Grundlagenbescheids für die Frage der Saldierung überprüft werden müsste.

 

Rz. 20

Ist die USt geschätzt worden, und wird danach die Steuererklärung eingereicht, die sowohl höhere Umsätze als auch höhere Vorsteuerbeträge ausweist, bedeutet dies Folgendes: Die höheren Umsätze stellen neue Tatsachen zulasten des Stpfl. dar, sodass die USt entsprechend höher festgesetzt werden kann. Die höheren Vorsteuerbeträge sind neue Tatsachen zugunsten des Stpfl., die nach § 173 AO zwar berücksichtigt werden können, aber nur, soweit sie mit den höheren Umsätzen kraft Sachzusammenhangs zusammenhängen; im Übrigen liegt grobes Verschulden des Stpfl. vor. Inwieweit die höheren Vorsteuerbeträge mit den höheren Umsätzen zusammenhängen, ist durch Schätzung zu ermitteln; dies hat durch Aufteilung der höheren Vorsteuerbeträge im Verhältnis der neu bekannt gewordenen Umsätze zu den ursprünglich erfassten Umsätzen zu erfolgen.[10] Der danach verbleibende Betrag der neu bekannt gewordenen Vorsteuern ist nach § 173 AO nicht zu berücksichtigen...

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