Rz. 11

§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO eröffnet die Möglichkeit, einen Folgebescheid an den für ihn maßgebenden Grundlagenbescheid anzupassen. Gleichzeitig begründet § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO auch die Pflicht der Finanzbehörde, den Folgebescheid an einen erlassenen, geänderten oder aufgehobenen Grundlagenbescheid anzupassen. Der Finanzbehörde steht insoweit kein Ermessensspielraum zu.[1] Ein Grundlagenbescheid ist für einen Folgebescheid maßgebend, wenn der Folgebescheid den Regelungsgehalt des Grundlagenbescheids zu übernehmen hat, ohne dass insoweit eine neue, eigenständige Prüfung durch das für den Erlass des Folgebescheids zuständige FA erfolgt oder erfolgen darf. Wann eine solche Bindung besteht, bestimmt sich nach den einzelnen Steuergesetzen, insbesondere nach § 182 AO. Im Einzelnen Frotscher, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 182 AO Rz. 1ff. Es ist nicht erforderlich, dass der Grundlagenbescheid alle steuerlich relevanten Besteuerungsgrundlagen umfasst. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO ist auch anwendbar, wenn in dem Grundlagenbescheid nur einzelne Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden.[2] Das ergibt sich schon daraus, dass die Feststellung mehrerer Besteuerungsgrundlagen jeweils selbstständige Feststellungen sind, auch wenn sie in einer Urkunde verbunden sind.[3]

 

Rz. 12

Die Bindung des Folgebescheids knüpft an den Tenor des Grundlagenbescheids an, nicht an die ESt-Mitteilung; maßgebend ist immer der Inhalt des Grundlagenbescheids.[4] Die Anpassung des Folgebescheids an den Grundlagenbescheid erfolgt durch Erlass, Aufhebung oder Änderung des Folgebescheids. Zu den Begriffen "Aufhebung" und "Änderung" Frotscher, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 173 AO Rz. 16; insoweit wird die Bestandskraft des Folgebescheids durchbrochen. Nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO kann ein Folgebescheid auch erstmals erlassen werden; insoweit erfolgt keine Durchbrechung der Bestandskraft, es handelt sich nicht um eine Änderungsvorschrift. Im Übrigen ist die Aussage, der Folgebescheid könne (erstmals) erlassen werden, überflüssig, da sie selbstverständlich ist; vor Ablauf der Festsetzungsfrist ist der Erlass eines Steuerbescheids immer möglich. Bei Erlass eines Grundlagenbescheids tritt für den Folgebescheid nach § 171 Abs. 10 AO eine Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist ein, so dass die Festsetzungsfrist der Anpassung oder dem erstmaligen Erlass eines Folgebescheids regelmäßig nicht entgegensteht.

 

Rz. 13

§ 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO ermöglicht nur die Durchbrechung der Bestandskraft, ersetzt also nicht andere Voraussetzungen für die Änderung des Folgebescheids. Ist etwa für den Erlass des Folgebescheids ein fristgebundener Antrag erforderlich, wird dieser nicht durch den Grundlagenbescheid ersetzt. Der Erlass des Folgebescheids muss dann trotz Ergehens des Grundlagenbescheids unterbleiben, wenn die Antragsfrist verstrichen ist.[5]

 

Rz. 14

Die Anpassung des Folgebescheids wird ermöglicht, wenn der Grundlagenbescheid erlassen, aufgehoben oder geändert wird. Das setzt an sich voraus, dass der Grundlagenbescheid eine erstmalige Regelung oder eine inhaltliche Veränderung der bisherigen Regelung enthält. Der erstmalige Erlass eines Grundlagenbescheids ermöglicht die vollständige Übernahme seines Inhalts in den Folgebescheid. Eine Änderung des Grundlagenbescheids berechtigt nach dem Wortlaut der Vorschrift dagegen nur zur Änderung des Folgebescheids, soweit die Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Grundlagenbescheid reichen, weil nur insoweit eine "Änderung" vorliegt. Die Rechtsprechung erweitert die Änderungsmöglichkeit jedoch über den Wortlaut des Gesetzes hinaus auf alle Fälle, in denen der Folgebescheid den Inhalt des Grundlagenbescheids nicht richtig widerspiegelt. Wird also ein Grundlagenbescheid geändert, können nach dieser h.L. auch Anpassungen im Folgebescheid an einen früheren Grundlagenbescheid erfolgen, die nicht Gegenstand der Änderung des Grundlagenbescheids waren (näher hierzu Rz. 30). Die Aufhebung eines Vorbehalts der Nachprüfung hat nach § 164 Abs. 3 S. 2 Halbs. 1 AO die Wirkung einer erstmaligen Steuerfestsetzung, so dass der gesamte Inhalt des Grundlagenbescheids, nicht nur die Änderungen gegenüber dem unter Vorbehalt stehenden Bescheid, in den Folgebescheid zu übernehmen sind.[6] Dies gilt jedoch nicht für den Wegfall des Vorbehalts nach § 164 Abs. 4 AO, da dies einer Steuerfestsetzung nicht gleich steht.[7] Daraus folgt, dass keine Anpassung des Folgebescheids ermöglicht wird, wenn der Grundlagenbescheid in seinem verbindlichen Regelungsgehalt nur eine Wiederholung eines früher ergangenen Grundlagenbescheids ist.[8] Zu den Begriffen "Aufhebung" und "Änderung" Frotscher, in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 173 AO Rz. 16. Die Berechtigung zur Anpassung des Folgebescheids greift ein mit Wirksamwerden des Grundlagenbescheids nach § 124 AO; Eintritt der Bestandskraft des Folgebescheids ist nicht erforderlich. Die Anpassung des Folgebescheids kann also auch erfolgen, wenn gegen den Grundlagenbescheid Einspruch eingelegt oder Klage er...

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