Rz. 164

Grundsätzlich hat die Finanzbehörde zu beweisen, dass der Verwaltungsakt dem Adressaten zugegangen ist.[1] Die Vermutung des Abs. 2 gilt nicht, wenn die Postsendung nicht oder später als am dritten Tag nach Aufgabe zur Post zugegangen ist. Die Vermutung des Abs. 2 erbringt keinen Beweis, der dem Stpfl. den Gegenbeweis auferlegen würde; sie ist lediglich die Folgerung aus dem Schluss, dass bei einem typischen Geschehensablauf die Postsendung spätestens am dritten Tag nach ihrer Aufgabe zugegangen ist.[2] § 122 Abs. 2 AO enthält zugunsten der Finanzbehörde mit der Zugangsvermutung jedoch eine Beweiserleichterung. Danach kann davon ausgegangen werden, dass der Verwaltungsakt am dritten Tag nach Aufgabe zur Post auch zugegangen ist; lediglich "im Zweifel" hat die Behörde gem. § 122 Abs. 2 Hs. 2 AO den tatsächlichen Zugang zu beweisen.[3] Die Vermutung des Hs. 1 kann der Betroffene dadurch zerstören, dass er substanziiert darlegt, dass er den Verwaltungsakt später erhalten habe, oder indem er substanziierte Zweifel am Zugang am dritten Tag nach Aufgabe zur Post vorbringt. Werden vom Stpfl. Tatsachen vorgetragen zur Widerlegung der 3-Tage-Fiktion, hat das Gericht diese Tatsachen im Wege der freien Beweiswürdigung abzuwägen.[4]

 

Rz. 165

Das Erfordernis eines substanziierten Tatsachenvortrags darf allerdings nicht dazu führen, dass die Regelung über die objektive Beweislast, die nach dem Gesetz die Behörde trifft, zulasten des Stpfl. umgekehrt wird.[5] Lediglich für den Fall, dass trotz Sachaufklärung keine Überzeugungsbildung möglich ist ("im Zweifel"), muss auf die Beweislastregel des § 122 Abs. 2 (2. Halbsatz) AO zurückgegriffen werden. Zu trennen ist hierbei zwischen dem Zeitpunkt der Aufgabe zur Post und dem Bestreiten der rechtzeitigen Zugangs. Demzufolge beeinflussen etwaige Versäumnisse des Stpfl. bei der Substantiierung des Zeitpunkts des Zugangs des Verwaltungsakts nicht den Grad der gerichtlichen Überzeugungsbildung für dessen Aufgabe zur Post; beide für die Anwendung von§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO maßgeblichen Ereignisse sind unabhängig voneinander zu beurteilen.[6]

 

Rz. 166

Wird der Zugang des Verwaltungsakts überhaupt bestritten, gelten folgen Grundsätze (vgl. Rz. 167–178):

 

Rz. 167

Grds. ist dem StPfl. nicht der Nachweis möglich, weshalb und aus welchen Gründen ihm ein Bescheid überhaupt nicht zugegangen ist. Ihm sind daher grundsätzlich keine substanziierten Darlegungen dazu möglich, warum (etwa aus welchen Gründen die Postsendung verloren gegangen ist) dies nicht möglich; es genügt daher bloßes Bestreiten des Zugangs[7], da die Lebenserfahrung nicht dafür spricht, dass alle Postsendungen (einschließlich Einschreibesendungen) auch zugehen.[8] Die Finanzbehörde muss den vollen Beweis führen[9]; ein Prima-facie-Beweis oder Beweiserleichterungen stehen ihr nicht zur Seite, auch dann nicht, wenn aufgrund des Verhaltens des Stpfl. (unterlassenes Leeren des Briefkastens) der Zugang bei normalem Postlauf nicht gesichert ist.[10] Dem Stpfl. kann die Beweislast trotz der grundsätzlich geltenden Zugangsfiktion gem. § 122 Abs. 2 AO nicht auferlegt werden, da ein Beweis, dass ein Ereignis – der Zugang – nicht eingetreten ist, nach den allgemeinen Beweisregeln nicht geführt werden kann. Dies beruht allerdings auf den allgemeinen Beweislastregelungen und nicht auf § 122 Abs. 2 Halbs. 2 AO, der im Zweifel die Beweislast dem FA auferlegt.

Etwas anderes gilt allerdings, wenn der Stpfl. sich regelmäßig weigert, die Post entgegenzunehmen. In diesen Fällen kommt es zu einer Umkehr der Beweislast. Der fehlerhafte Zugang ist in diesen Fällen im Verhalten des Stpfl. begründet und damit seinem Einflussbereich zuzurechnen. Der Stpfl. muss daher den fehlenden Zugang nachweisen. Es liegt ein atypischer Geschehensablauf vor, der zu einer Beweislastumkehr führt. Da dieser Geschehensablauf in der Sphäre des Stpfl. liegt, ist er beweispflichtig.[11]

 

Rz. 168

Im Streitfall können aber Indizien herangezogen werden, um im Wege der freien Beweiswürdigung zu entscheiden, ob der Verwaltungsakt zugegangen ist oder nicht.[12] Solche Indizien können etwa sein, dass der Stpfl. sich erst nach langer Zeit in einer für ihn ungünstigen Verfahrenssituation (Verjährungseinrede) auf den Nichtzugang beruft, obwohl er Veranlassung gehabt hätte, das früher zu tun.[13]

Ein Indiz für den Zugang ist es auch, wenn der Stpfl. zu dem angeblich nicht zugegangenen Steuerbescheid sachlich Stellung nimmt[14] oder Einspruch einlegt.[15] Gleiches gilt, wenn die Steuer überwiesen oder abgebucht wurde, ohne dass der Stpfl. darauf hinweist, den Steuerbescheid nicht erhalten zu haben[16], oder wenn der Stpfl. die Aufteilung der Steuerschuld nach § 268 AO beantragt oder Vollstreckungsmaßnahmen ohne Rüge hinnimmt.[17]

 

Rz. 169

Kein Indiz für den Zugang ist es andererseits, wenn sich der Stpfl. nicht bei der Finanzbehörde erkundigt, wann die Veranlagung erfolgt, oder wenn er die erste Gelegenheit einer Besprechung mit der Finanzbehörde dazu benutzt, den Zugang zu bestreiten.[18...

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