1 Allgemeines

1.1 Inhalt und Zweck der Regelung

 

Rz. 1

§ 55 FGO regelt die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Belehrung über den jeweils einzulegenden (gerichtlichen) Rechtsbehelf gegen eine behördliche oder gerichtliche Entscheidung im finanzgerichtlichen Verfahren und trifft eine abschließende Sonderregelung über die Folgen einer unzureichenden Rechtsbehelfsbelehrung. Die Vorschrift begründet selbst aber keine Verpflichtung zur Erteilung einer solchen Belehrung.[1] Gesetzlich vorgeschrieben ist die Erteilung einer Rechtsbehelfsbelehrung z. B. für den Erlass einer Einspruchsentscheidung nach § 366 AO sowie für Urteile, Gerichtsbescheide und anfechtbare Beschlüsse im gerichtlichen Verfahren nach §§ 105 Abs. 2 Nr. 6, 106, 113 Abs. 1 FGO. Die gerichtliche Rechtsbehelfsbelehrung stellt insoweit einen notwendigen Urteilsbestandteil dar, gehört jedoch nicht zu den Entscheidungsgründen i. S. d. § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO.[2] Die Erteilung einer Rechtsschutzbelehrung ist Teil der finanzbehördlichen und gerichtlichen Fürsorgepflicht. Ihr Fehlen oder ihre inhaltliche Unrichtigkeit führt indes nicht zur Anfechtbarkeit oder Unwirksamkeit der Entscheidung, sondern nur zu der in § 55 FGO vorgesehenen Modifikation der regulären Rechtsbehelfsfrist.

 

Rz. 2

Die Regelung des § 55 FGO ist Ausfluss des verfassungsrechtlichen Gebots der Gewährung effektiven Rechtsschutzes sowie der hieraus abzuleitenden Gebote der prozessualen Fürsorgepflicht und der Rechtsmittelklarheit.[3] Sie dient dem Zweck, den Bürger alsbald und zuverlässig darüber zu unterrichten, dass die ihm zugegangene Entscheidung nur innerhalb einer bestimmen Frist angefochten und wie diese Frist gewahrt werden kann.[4] Sie soll letztlich sicherstellen, dass der Rechtssuchende nicht aus prozessualer Unkenntnis sein Recht auf Erhebung einer Klage oder Einlegung eines Rechtsmittels verliert.[5] Unabhängig davon, ob eine gesetzliche Verpflichtung zur Rechtsbehelfsbelehrung besteht, beginnen Klage- und Rechtsmittelfristen daher grundsätzlich nur zu laufen, wenn dem Verwaltungsakt oder der Gerichtsentscheidung eine ordnungsgemäße Belehrung über den einzulegenden Rechtsbehelf beigefügt war. Fehlt es hieran, kann der Rechtsbehelf nach Abs. 2 der Vorschrift innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe des Verwaltungsakts oder der Gerichtsentscheidung eingelegt werden. Dies gilt auch dann, wenn die Frist für das unrichtig angegebene Rechtsmittel genauso lange läuft wie die Frist für das zutreffende Rechtsmittel.[6] Nach Ablauf der Jahresfrist (Ausschlussfrist) ist der Rechtsbehelf nur zulässig, wenn die Einlegung vor ihrem Ablauf infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung erteilt worden ist, nach der ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei.[7]

Zur Entstehungsgeschichte der Regelung eingehend Spindler, in HHSp, AO/FGO, § 55 FGO Rz 1ff.

[1] Gräber/Stapperfend, FGO, 8. Aufl. 2015, § 55 Rz 1.
[5] BFH v. 17.5.2000, I R 4/00, BStBl II 2000, 539; ebenso Spindler, in HHSp, AO/FGO, § 55 FGO Rz 5; Gräber/Stapperfend, FGO, 8. Aufl. 2015, § 55 Rz. 2; Brandt, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 55 FGO Rz. 2.

1.2 Anwendungsbereich

 

Rz. 3

§ 55 FGO regelt in seinem Absatz 1 den Fristbeginn für alle ordentlichen, fristgebundenen Rechtsbehelfe gegen eine behördliche oder gerichtliche Entscheidung im finanzgerichtlichen Verfahren. Der Begriff "Rechtsbehelf" ist weit zu verstehen. Er umfasst als Oberbegriff außergerichtliche und gerichtliche Rechtsbehelfe; letztere und von § 55 FGO erfasst sind die prozessualen Mittel zur Rechtsverwirklichung im Wege gerichtlicher Verfahren, einschließlich Antrag, Klage und Rechtsmittel.[1] Die Vorschrift gilt damit zunächst für die erstinstanzlichen Rechtsbehelfe gegen rechtsbehelfsfähige Verwaltungsakte wie die nach § 47 FGO fristgebundene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage[2] sowie den Antrag auf mündliche Verhandlung nach Erlass eines Gerichtsbescheids nach §§ 79a Abs. 2, 90a Abs. 2 FGO.[3] Darüber hinaus gilt § 55 FGO auch für die Rechtsmittel zum BFH gegen die mit einem ordentlichen Rechtsbehelf anfechtbaren Entscheidungen der Finanzgerichte wie die Revision nach § 115 FGO, die Beschwerde über die Nichtzulassung der Revision nach § 116 FGO, die Beschwerde nach § 128 Abs. 2 FGO und den Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 90a Abs. 2 FGO.

 

Rz. 4

Von der Regelung des § 55 FGO sind nicht nur schriftlich und elektronisch ergangene Verwaltungsakte erfasst, sondern nach dem durch das Justizkommunikationsgesetz (JKomG) v. 22.3.2005[4] neu gefassten Wortlaut grundsätzlich auch mündliche Verwaltungsakte. Auch im Falle einer gerichtlich anfechtbaren mündlichen Entscheidung wäre daher schriftlich oder elektronisch über den anzubringenden Rechtsbehelf zu belehren, soll die reguläre Rechtsbehelfsfrist zu laufen beginnen .[5] Ob bei mündlich ergehenden Entscheid...

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