Rz. 3

Die Aussage des § 22 Abs. 1 RAO "Das Steuergeheimnis ist unverletzlich" war angesichts der tatsächlichen Verletzlichkeit sachlich unzutreffend. Dennoch war die Anlehnung an die Grundrechtsformulierung durchaus bedeutungsimmanent. Die andere Formulierung in § 30 AO ist weniger pathetisch und vermeidet die Ähnlichkeit mit der Fassung einiger Grundrechtsartikel. Anders als das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis[1] oder das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 1 und 2 GG ist die Regelung des Steuergeheimnisses selbst kein Grundrecht und hat keinen unmittelbaren Verfassungsrang. Verletzungen des Steuergeheimnisses sind folglich nicht per se Grundrechtseingriffe.[2] Allerdings wird dem Steuergeheimnis in der Lit. mindestens eine mittelbare verfassungsrechtliche Absicherung zugesprochen.[3] Der Schutz durch die einfachgesetzliche Regelung lässt sich auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Grundrecht auf Selbstbestimmung über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten) stützen, das wiederum aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht[4] entwickelt worden ist.[5] Im Urteil zum Flick-Untersuchungsausschuss[6] hat das BVerfG die Durchbrechung der Geheimhaltung über den steuerlichen Bereich hinaus (parlamentarischer Untersuchungsausschuss) als sehr beschränkt angesehen. Im Urteil zur Zinsbesteuerung hat es zum wiederholten Mal bestätigt, dass § 30 AO als einfachgesetzliche Regelung bereichsspezifisch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung im Steuerrecht konkretisiert und dass die Vorschrift diesem Grundrecht – zumindest aus der seinerzeitigen Betrachtung – auch genügte.[7] Darüber hinaus hat es den Geheimnisschutz für steuerliche Zwecke eingeschränkt gesehen. Daraus ist abgeleitet worden, dass der Stpfl. wenigstens "kein Recht auf steuerliche Selbstbestimmung" habe.[8] Auch der BFH hat sich mit dieser Abgrenzung befasst.[9]

Die weitgehenden Erklärungs-, Mitwirkungs- und Duldungspflichten (vgl. Rz. 1) nach der AO[10] sind den Stpfl. nur zuzumuten, wenn diese vor einer Weitergabe der Informationen durch die Finanzbehörde grundsätzlich geschützt sind.[11] Die verfassungsrechtliche Anbindung des Steuergeheimnisses muss auch bei seiner Handhabung berücksichtigt werden. Die Verwaltung hat die nach § 30 Abs. 4 und 5 AO befugte Offenbarung und Verwertung auf das Erforderliche zu beschränken.[12]

Für den Fall der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens vervollständigt § 393 Abs. 2 AO den Schutz des Steuergeheimnisses.[13]

[2] BFH v. 29.7.2003, VII R 39, 43/02, VII R 39/02, VII R 43/02, BStBl II 2003, 828, 834; BayVGH v. 11.9.2014, Vf. 67-IVa-13, VerfGHE BY 67, 216-241; FG des Saarlandes v. 27.4.2016, 2 V 1089/16, EFG 2016, 969; Klein/Rüsken, AO, 16. Aufl. 2022, § 30 Rz. 5.
[3] Alber, in HHSp, AO/FGO, § 30 AO Rz. 13 m. w. N.
[5] BVerfG v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83, BVerfGE 65, 1, 44; BVerfG v. 17.7.1984, 2 BvE 11/83, 15/83, BVerfGE 67, 100, 142; Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 30 AO Rz. 6; Klein/Rüsken, AO, 16. Aufl. 2022, § 30 Rz. 5.
[6] BVerfG v. 17.7.1984, 2 BvE 11/83, 15/83, BStBl II 1984, 634.
[8] Drüen, StuW 2003, 212.
[10] Z. B. nach §§ 90, 93, 200 AO.

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