Rz. 35

Tatsachen oder Beweismittel dürfen, wenn die Voraussetzungen des § 393 Abs. 2 AO erfüllt sind "nicht für die Verfolgung einer Tat verwendet werden, die keine Steuerstraftat ist" . Durch dieses verfassungsrechtlich erforderliche[1] Verbot soll der Stpfl. geschützt werden, der seine steuerlichen Mitwirkungspflichten teilweise korrekt erfüllt hat. Damit ist die Vorschrift letztlich eine besondere Ausprägung des Steuergeheimnisses.[2]

 

Rz. 35a

§ 393 Abs. 2 S. 1 AO verbietet seinem Wortlaut nach die Verwendung zur Verfolgung der nichtsteuerlichen Straftat. Der Regelungsinhalt der Vorschrift wird jedoch unterschiedlich verstanden, woraus sich dann auch unterschiedliche Rechtsfolgen ergeben.

 

Rz. 35b

Aufgrund der gesetzlichen Formulierung wird angenommen, dass es sich um ein Verfolgungsverbot hinsichtlich der nichtsteuerlichen Straftat handelt, das ein Verfahrenshindernis begründet.[3] Wegen dieser Straftat darf also kein Strafverfahren eingeleitet werden. Ist dies jedoch schon geschehen, ist das Verfahren von Amts wegen einzustellen.

 

Rz. 35c

In der Rechtsprechung wird der Regelungsinhalt als "normales" strafrechtliches Verwertungsverbot hinsichtlich der Tatsachen und Beweismittel gesehen und inhaltlich den sonstigen Verwertungsverboten der StPO gleichgestellt.[4] Dies hat zur Folge, dass regelmäßig nur die unmittelbar erlangten Informationen nicht verwendet werden dürfen.[5]

 

Rz. 35d

In der Literatur überwiegt – m. E. zutreffend – dagegen die Ansicht, dass im gesamten Verfahren ein Verwendungsverbot hinsichtlich dieser Tatsachen und Beweismittel für die Verfolgung besteht.[6] Es hindert die Strafverfolgungsorgane demgemäß an Ermittlungen zur nichtsteuerlichen Straftat. Insoweit enthält die Regelung praktisch ein Ermittlungsverbot.

 

Rz. 36

Dieses Verwendungsverbot ist ein Ausgleich für die umfassende steuerrechtliche Offenbarungspflicht.[7] Die unter fiskalpolitischen Gesichtspunkten begründete steuerrechtliche Verpflichtung, auch unsittliche, unredliche, rechtswidrige und kriminelle Sachverhalte für steuerliche Zwecke zu offenbaren[8], die auch in den Schranken des § 393 Abs. 1 S. 2 AO erzwungen werden kann, kann nur gerechtfertigt werden, wenn das Steuergeheimnis[9] hinreichend Schutz gewährt.

 

Rz. 37

Dieses strafrechtliche Verwendungsverbot ist eine folgerichtige und notwendige Sicherung des Steuergeheimnisses. Die Regelung gibt dem Beschuldigten Schutz vor den Folgen einer eventuellen Verletzung des Steuergeheimnisses[10] durch die Finanzbehörden.[11]

Nach § 30 Abs. 2 Nr. 1a i. V. m. Abs. 4 Nr. 4a AO dürfen die Finanzbehörden bzw. die FG den Strafverfolgungsorganen (s. Rz. 38f.) für die Verfolgung nichtsteuerlicher Straftaten, d. h. für die Verfolgung von Straftaten, die keine Steuerstraftaten i. S. v. § 369 Abs. 1 AO sind[12], keine Verhältnisse offenbaren, die sie vor der Einleitung des Steuerstrafverfahrens erfahren haben, bzw. bevor der Stpfl. (Beschuldigter; s. Rz. 25) von der Einleitung Kenntnis erlangt hat.[13] Erhalten die Strafverfolgungsbehörden diese Kenntnis nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 im Rahmen eines Steuerstrafverfahrens, so verbietet § 393 Abs. 2 AO die Verwendung der Kenntnisse zur Verfolgung der nichtsteuerlichen Straftat.

Das Verwendungsverbot gilt für nichtsteuerliche Ordnungswidrigkeiten entsprechend, da auch diese keine Steuerstraftaten i. S. v. § 369 AO sind.[14]

 

Rz. 38

§ 393 Abs. 2 AO trifft eine Regelung für die Strafverfolgungsorgane.[15] Die Vorschrift verbietet der Staatsanwaltschaft und dem Strafgericht die Verwendung der angesprochenen Kenntnisse. Das Verbot gilt auch für die Finanzbehörde i. S. v. § 386 Abs. 1 AO, wenn sie ein Steuerstrafverfahren mit staatsanwaltschaftlichen Befugnissen selbstständig[16] führt. Schließlich gilt § 393 Abs. 2 AO auch im Rahmen eines Disziplinarverfahrens und damit für den jeweiligen Dienstvorgesetzten.[17]

 

Rz. 39

Das Verwendungsverbot gilt auch für die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft, wenn sie im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren tätig sind. Demgemäß darf auch die Steuerfahndung bzw. Zollfahndung[18], soweit sie nicht rein steuerliche Ermittlungen nach § 208 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AO bzw. § 208 Abs. 2 AO führt[19], keine Ermittlungen hinsichtlich dieser nichtsteuerlichen Straftat tätigen. Des gleichen ist § 393 Abs. 2 AO auf die Ermittlungen durch die Polizei oder andere Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft i. S. d. des § 152 GVG anzuwenden, da eine Umgehung des Verwendungsverbots zu vermeiden ist.[20]

Rz. 40 einstweilen frei

[2] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 393 Rz. 70.
[4] BayObLG v. 6.8.1996, 4 St RR 104/96, wistra 1996, 353; BGH v. 5.5.2004, 5 StR 548/03, BFH/NV Beilage 2004, 380, obgleich hier als Verwendungsverbot bezeichnet; ebenso Tormöhlen, in HHSp, AO/FGO, § 393 AO Rz. 158.
[5] BGH v. 16.6.2005, 5 StR 118/05, BFH/NV Beilage 2005, 380, weitere Ermittlungen unter Verwendung dieser Informationen nicht ausgeschlossen...

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