Rz. 25

Da die Frage, ob der Stpfl. mit den Zwangsmitteln in der Einzelfallsituation zu einer Selbstbelastung gezwungen würde, nur vom Stpfl. beantwortet werden könnte, andererseits die Zwangsmittel von der Finanzbehörde eingesetzt werden und diese daher die Glaubwürdigkeit entsprechender Äußerungen des Stpfl. zu beurteilen hätte, schließlich auch eine solche Äußerung des Stpfl. selbst schon eine Selbstbelastung darstellen könnte, unterstellt § 393 Abs. 1 S. 3 AO die Gefahr der Selbstbelastung nach der Einleitung des Strafverfahrens i. S. v. § 397 AO gegen den Stpfl.

Als "Strafverfahren" i. d. S. ist das gesamte der Verfolgung einer Straftat dienende Verfahren der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte zu verstehen.[1] Es beginnt mit dem Ermittlungsverfahren, das mit jeder Maßnahme der Finanzbehörden eingeleitet ist, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Steuerstraftat strafrechtlich vorzugehen.[2] Nach § 397 Abs. 3 AO ist dem Stpfl., der in diesem Stadium des Strafverfahrens als Beschuldigter bezeichnet wird[3], die Einleitung des Verfahrens spätestens dann mitzuteilen, wenn er zur Mitwirkung bei der Sachverhaltsfeststellung aufgefordert wird. Hierbei ist er über sein strafprozessuales Mitwirkungsverweigerungsrecht zu belehren.[4]

 

Rz. 26

Diese Fiktion des § 393 Abs. 1 S. 3 AO gilt trotz des insoweit eindeutig von § 393 Abs. 1 S. 2 AO abweichenden Wortlauts des S. 3 auch für den Fall der Einleitung des Bußgeldverfahrens wegen Steuerordnungswidrigkeiten.[5]

 

Rz. 27

Einleitung ist die objektive Maßnahme i. S. v. § 397 Abs. 1 AO.[6] Solange und soweit gegen den Stpfl. eine solche Maßnahme nicht getroffen ist, ist die Fiktion des § 393 Abs. 1 S. 3 AO[7] nicht anzuwenden.

 

Rz. 28

Das Zwangsmittelverbot besteht auch dann, wenn gegen den Beteiligten noch kein Strafverfahren oder Bußgeldverfahren eingeleitet ist, weil z. B. diese Einleitung bewusst unterlassen wurde.[8] Aus der Formulierung des § 393 Abs. 1 S. 3 AO, dass das Verbot der Anwendung von Zwangsmitteln nach § 393 Abs. 1 S. 2 AO "stets" nach Einleitung des Strafverfahrens gilt, ist umgekehrt zu schließen, dass es auch in anderen Fällen gilt.

 

Rz. 29

Fehlt die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens, was in den Fällen des § 393 Abs. 1 S. 2 AO regelmäßig der Fall ist, so muss sich der Stpfl. von sich aus auf sein Schweigerecht berufen. Dies muss er nicht näher begründen.[9] Es reicht aus, wenn er sich im Zweifel auf die Anwendung dieser Vorschrift beruft, also darlegt, dass er eine Selbstbelastung für möglich hält.[10] Wäre er verpflichtet, weitere Angaben zu den Gründen zu machen, so würde er sich dadurch womöglich selbst belasten, was nicht zumutbar ist. Eine weitere Glaubhaftmachung durch die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung ist nur schwerlich mit dem Selbstbelastungsverbot in Einklang zu bringen.[11] In der Konsequenz ist die Finanzbehörde gehalten, aufgrund dieses Verdachtsmoments zumindest Vorermittlungen durchzuführen. Solche Ermittlungen sind von demjenigen, der sich auf die Anwendung des § 393 Abs. 1 S. 2 AO beruft, wiederum hinzunehmen.

[5] Tormöhlen, in HHSp, AO/FGO, § 393 AO Rz. 102; Seipl, in Gosch, AO/FGO, § 393 AO Rz. 87.
[8] Seipl, in Gosch, AO/FGO, § 393 Rz. 65; Blesinger, wistra 1994, 48, 50.
[9] Jesse, DB 2013, 1803.
[10] Tormöhlen, in HHSp, AO/FGO, § 393 AO Rz. 100.
[11] Jesse, DB 2013, 1803; a. A. Seipl, in Gosch, AO/FGO, § 393 AO Rz. 71; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 393 AO, Rz. 93.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge