1 Zweck der Vorschrift

1.1 Abgrenzungsfunktion

 

Rz. 1

§ 385 AO regelt für das Steuerstrafverfahren die Anwendung der allgemeinen Strafverfahrensrechte, soweit in den §§ 385412 AO nichts anderes bestimmt ist. Das Strafverfahrensrecht ist öffentlich-rechtlicher Rechtsnatur.[1] Da durch § 386 Abs. 1 AO der Finanzbehörde allgemein und durch § 208 AO der Steuer- bzw. Zollfahndung für die Verfolgung von Steuerstraftaten Aufgaben zugewiesen werden, bedurfte es einer Regelung hinsichtlich der öffentlich-rechtlichen Verfahrensvorschriften, derer sich diese Behörden zur Erfüllung dieser Aufgaben zu bedienen haben.

§ 385 Abs. 1 AO regelt für das Strafverfahren wegen Steuerstraftaten[2] die Geltung der Gesetze über das allgemeine Strafverfahren. Dies sind namentlich die StPO, das GVG und das JGG. Die Regelungen dieser Gesetze werden ergänzt durch §§ 385408 AO.

Zugleich regelt die Vorschrift insoweit auch die grundsätzliche Nichtanwendbarkeit der Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensrechts. Dies sind einmal die Verfahrensbestimmungen des 1. bis 7. Teils der AO[3], aber auch die des VwVfG.[4]

§ 385 Abs. 1 AO bringt insoweit eine Generalverweisung. Aus dieser Regelung resultiert der in § 393 AO unternommene Versuch, das Nebeneinander zweier unterschiedlicher Verfahrensarten, Strafverfahren und Besteuerungsverfahren, zu harmonisieren. Gleichzeitig verdeutlicht § 385 Abs. 1 AO, dass es für die Strafverfolgung wegen Steuerstraftaten kein Sonderstrafverfahrensrecht gibt, vielmehr in der AO nur einige sachbezogene Ergänzungen des allgemeinen Strafverfahrensrechts vorgenommen werden.[5]

[2] S. Rz. 3; Überblick zum Verfahren s. Vor §§ 385408 AO Rz. 2.
[3] S. auch § 347 Abs. 3 AO. Zur Anwendbarkeit des § 30 AO im Steuerstrafverfahren s. § 30 AO Rz. 4.
[5] S. Überblick Vor §§ 385402 AO Rz. 14ff.

1.2 Kompetenzerweiterung

 

Rz. 2

Die Vorschriften der §§ 385408 AO gelten für das Strafverfahren wegen Steuerstraftaten. § 385 Abs. 2 AO regelt darüber hinaus die – teilweise – entsprechende Anwendung dieser Bestimmungen auch für Straftaten, die – ohne ein Steuerstrafgesetz zu verletzen – unter Vorspiegelung eines steuerlich erheblichen Sachverhalts gegenüber der Finanzbehörde oder einer anderen Behörde auf die Erlangung von Vermögensvorteilen gerichtet sind.[1]

[1] S. Rz. 15.

2 Strafverfahren wegen Steuerstraftaten

2.1 Geltung allgemeiner Gesetze

 

Rz. 3

Strafverfahren i. S. d. §§ 385ff. AO ist das gesamte Steuerstrafverfahren, angefangen vom Vorverfahren bis zum Abschluss des Strafvollstreckungsverfahrens.[1] Das Strafverfahren beginnt, sobald es eingeleitet ist. Dafür ist keine schriftliche Einleitungsverfügung erforderlich. Vielmehr reicht es aus, dass eine Strafverfolgungsbehörde eine Maßnahme trifft, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Steuerstraftat strafrechtlich vorzugehen.[2] Zur Einleitung befugt ist grundsätzlich jeder Bedienstete der Finanzbehörde. Daher liegt bei solchen Maßnahmen, die die Voraussetzungen des § 397 AO erfüllen und durch einen Außenprüfer im Rahmen einer Außenprüfung erfolgen, bereits eine Einleitung vor.[3] Vor der Einleitung ergeben sich die Befugnisse der Finanzbehörde im Wesentlichen aus der AO. Der Begriff der Steuerstraftat wird durch § 369 Abs. 1 AO bestimmt.[4] Dazu gehören auch Anstiftung[5] und Beihilfe[6] zu solchen Taten sowie die Begünstigung gem. § 257 StGB. Dies ergibt sich aus dem Verweis in § 369 Abs. 2 AO. Nicht zum Strafverfahren gehören Vorfeldermittlungen der Steuerfahndung nach § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO. Die Rechte und Pflichten des Betroffenen in diesem Verfahren richten sich allein nach der AO. Bei Streitfragen in diesem Fall ist der Finanzrechtsweg gegeben.[7]

[3] Rolletschke, Steuerstrafrecht, 4. Aufl. 2012, Rz. 703.

2.2 Steuergeheimnis

 

Rz. 4

Trotz des Verweises in Abs. 1 auf die Geltung der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren gilt im Steuerstrafverfahren das Steuergeheimnis nach § 30 AO.[1] Danach dürfen Amtsträger, denen die Verhältnisse eines anderen im Rahmen eines Verfahrens bekannt geworden sind, diese nicht unbefugt offenbaren.[2] Zu den geschützten Verhältnissen eines anderen gehören die steuerlichen und strafrechtlichen Ermittlungsergebnisse der Steuerfahndung und der Bußgeld- und Strafsachenstelle sowie der Inhalt der Ermittlungsakten, die bei der Staatsanwaltschaft geführt werden.[3] Allerdings sieht § 30 Abs. 4 AO einen Katalog an Offenbarungsbefugnissen vor.

[1] Hanseatisches OLG v. 24.8.1995, 2 VAs 7/95, wistra 1995, 356, Hellmann, in HHSp, AO/FGO, § 399 AO Rz. 49, a. A. OLG Celle v. 20.11.1989, 1 VAs 10/89, NJW 1990, 1802.
[3] VG Augsburg v. 29.1.2014, Au 7 E 13.2018, ZUM-RD 2014, 322, Rz. 61ff.

2.2.1 Akteneinsicht des Verteidigers

 

Rz. 5

Über den Verweis auf die allgemeinen Gesetze gilt im Strafverfahren das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers nach § 147 StPO. Es ist Ausfluss des Grundsatzes der Fairness im Strafverfahren.[1] Der Anspruch auf Akteneinsicht steht grundsätzlich nur dem Verteidiger zu und dies erst nach Abschluss der Ermittlungen.[2] Ob eine Aktene...

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