Entscheidungsstichwort (Thema)

Einsicht des Dienstherrn in die Akten eines Steuerstrafverfahrens bei Verdacht eines Dienstvergehens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Gegen die Ablehnung des Begehrens eines Dritten, ihm Einsicht in die Akten eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens zu gewähren, ist der Rechtsweg nach §§ 23ff EGGVG gegeben. Das gilt auch, wenn die Ermittlungen wegen des Verdachts einer Steuerstraftat von der Finanzbehörde geführt werden.

2. Auch eine Behörde kann einen zulässigen Verpflichtungsantrag stellen, wenn sie einem anderen Rechtsträger angehört als die von ihr um Einsicht ersuchte Behörde.

3. Das Steuergeheimnis nach § 30 AO gilt unbeschadet der Sonderregelungen hinsichtlich des vom Beschuldigten im Besteuerungsverfahrens Offenbarten nicht im Steuerstrafverfahren.

4. Ermittelt die um Einsicht ersuchende Behörde als Dienstherr eines einer Steuerstraftat verdächtigen Beamten, weil sie wegen derselben Tatsachen den Verdacht eines Dienstvergehens hat, so überwiegt ihr Interesse an der Verfolgung des Beamten zur Sicherung einer integren Verwaltung dasjenige des beschuldigten Beamten an der Geheimhaltung dieser Tatsachen.

 

Normenkette

AO §§ 30, 386, 393; EGGVG § 23; VwVfG § 20; GG Art. 2 Abs. 1

 

Tenor

Die Verfügung des Antragsgegners vom 10. August 1989 wird aufgehoben.

Der Antragsgegner ist verpflichtet, dem Antragsteller Einsicht zu gewähren in die in dem von ihm geführten steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren gegen den Bauamtmann Dipl.-Ing. … aus … beschlagnahmten Unterlagen des Beschuldigten.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Antragstellers fallen der Landeskasse zur Last.

Der Geschäftswert beträgt 5.000 DM.

 

Tatbestand

I.

Der Antragsgegner führt ein Ermittlungsverfahren gegen den Bauamtmann Dipl.-Ing. … aus … wegen Verdachts der Steuerhinterziehung. In diesem Verfahren sind Unterlagen des Beschuldigten beschlagnahmt worden. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.

Der Antragsteller ist der Dienstherr des Bauamtmanns …. Er hat disziplinarrechtliche Vorermittlungen gegen ihn wegen Verdachts ungenehmigter Nebentätigkeit und nicht unvoreingenommener Amtsführung eingeleitet. Dieser Verdacht richtet sich auf dieselben Handlungen, die auch Gegenstand der steuerstrafrechtlichen Ermittlungen sind.

Durch Ersuchen vom 20.7.1989 hat der Antragsteller beim Antragsgegner beantragt, ihm Einsicht in die bei … beschlagnahmten Unterlagen zu gewähren. Durch Verfügung vom 10.8.1989 hat der Antragsgegner das abgelehnt.

Der hiergegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung (Verpflichtungsantrag) hat Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der Antrag ist zulässig.

1. Der beschrittene Rechtsweg ist gegeben. Die begehrte Gewährung von Akteneinsicht ist eine Maßnahme der Justizverwaltung i.S.d. § 23 Abs. 1 EGGVG. Der Antragsgegner ist zwar eine Finanzbehörde. Maßgeblich ist aber, daß er im Steuerstrafverfahren nach §§ 386 Abs. 2, 399 Abs. 1 AO funktionell als Justizbehörde tätig wird, weil er hier die Aufgaben der Staatsanwaltschaft wahrnimmt.

2. Der rechtlichen Einordnung der begehrten Akteneinsicht als Maßnahme der Justizverwaltung und ihrer Ablehnung als Justizverwaltungsakt steht nicht entgegen, daß das Begehren des Antragstellers vom 20.7.1989 sich als Ersuchen um Amtshilfe darstellt, so daß anstelle einer gerichtlichen Überprüfung die Regelung der §§ 5 Abs. 5 VwVfG, 1 S. 1 NdsVwVfG eingreifen könnte. Diese Bestimmung über die Amtshilfe gilt weder für das Verfahren der Justizverwaltungs- noch der Finanzbehörden (§ 2 NdsVwVfG). Außerdem schließt sie den Rechtsweg nicht aus, sondern erfordert nur die vorherige Anrufung der Aufsichtsbehörde. Der Umstand, daß der Antragsteller eine Behörde ist, nimmt der Ablehnung nicht den Charakter eines Justizverwaltungsakts. Da Antragsteller und Antragsgegner verschiedenen Rechtsträgern angehören – hier handelt es sich um die Weigerung einer Landesbehörde gegenüber einer kommunalen Gebietskörperschaft – kann der Ablehnung nicht der für das Vorliegen eines Verwaltungsakts maßgebliche hoheitliche Regelungscharakter abgesprochen werden. Die Behördeneigenschaft des Antragstellers steht deshalb der Antragsbefugnis nicht entgegen (vgl. Kopp, VwVfG, § 5 Rdz. 39 a; Obermayer, VwVfG § 5 Rdz. 57; Meyer/Borgs, VwVfG, § 5 Rdz. 35; Finkelnburg/Lässig, VwVfG, § 5 Rdz. 43 f; Knack-Schwarze, VwVfG, § 5 Rdz. 5.5; Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 3. Auflage, S. 91). Die dem entgegenstehende Auffassung, die Eigenschaft der Ablehnung als Justizverwaltungsakt und damit die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung sei zu verneinen (Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG, § 5 Rdz. 30; KK-Kissel, StPO, § 23 EGGVG Rdz. 25; LR-Schäfer, StPO, 23. Auflage, § 23 EGGVG, Rdz. 28) vermag den Senat nicht zu überzeugen.

3. Nach anderen Vorschriften als nach §§ 23 ff. EGGVG können die ordentlichen Gerichte nicht angerufen werden, insbesondere scheidet ein strafprozeßrechtlicher Rechtsbehelf aus. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen einem am Strafverfahren unbeteiligten Dritten Ein...

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