Rz. 40

Von den Freistellungsbescheiden und der Nichtveranlagungsbescheinigung sind die NV-Verfügungen (Nichtveranlagungsverfügungen) zu unterscheiden. Der Begriff der NV-Verfügung wird in der Praxis für unterschiedliche Fallgestaltungen verwendet; er hat daher keinen einheitlichen Inhalt. Der Rechtscharakter der NV-Verfügung ist somit nach dem jeweiligen Einzelfall zu bestimmen.[1] Ursprünglich war die NV-Verfügung ein innerdienstlicher Vermerk des FA, dass keine Steuerfestsetzung vorzunehmen sei. Die Gründe hierfür können darin liegen, dass keine Steuer entstanden ist, aber auch darin, dass die Voraussetzungen für eine Steuerfestsetzung[2] nicht vorliegen. Als innerdienstlicher Vermerk wird diese Art der NV-Verfügung nicht bekannt gegeben; sie entfaltet keine Außenwirkung, ist kein Verwaltungsakt bzw. Steuerbescheid und daher keiner Rechts- oder Bestandskraft fähig. Die Finanzbehörde kann jederzeit eine Steuerfestsetzung vornehmen. Wird mit der NV-Verfügung dagegen ein Antrag des Stpfl. auf Steuerfestsetzung abgelehnt und dies ihm bekannt gegeben, liegt keine NV-Verfügung im eigentlichen Sinn mehr vor, sondern die Ablehnung eines Antrags auf Steuerfestsetzung, auch wenn die Verfügung als NV-Verfügung bezeichnet ist.[3] Entsprechendes gilt, wenn der Stpfl. zwar keinen Antrag auf Steuerfestsetzung gestellt, wohl aber eine Steuererklärung abgegeben hat, und an der Steuerfestsetzung ein berechtigtes Interesse besteht. Die Ablehnung eines Antrags auf Steuerfestsetzung entfaltet die Wirkung eines Steuerbescheids.[4] Ebenfalls über eine innerdienstliche Verfügung hinaus geht es, wenn die Finanzbehörde die Frage der Steuerpflicht eingehend prüft, hierüber eine "NV-Verfügung" erlässt, mit der die Steuerpflicht verneint wird, und diese dem Stpfl. bekannt gibt. Es liegt dann wiederum keine NV-Verfügung im eigentlichen Sinn vor, sondern ein Freistellungsbescheid, auch wenn die Verfügung als NV-Verfügung bezeichnet ist.[5]

 

Rz. 41

Schwierig zu beurteilen sind die Fälle, die zwischen der innerdienstlichen NV-Verfügung und der Ablehnung eines Antrags auf Steuerfestsetzung bzw. dem Freistellungsbescheid liegen. Es sind dies die Fälle, in denen die Finanzbehörde keine förmliche Entscheidung erlassen wollte, die innerdienstliche NV-Verfügung dem Stpfl. aber bekannt gegeben hat. Hier stellt sich die Frage, ob diese NV-Verfügung die Wirkungen eines Freistellungsbescheids entfaltet, oder ob weiterhin eine innerdienstliche, nicht der Bestandskraft fähige Verfügung ohne Außenwirkung vorliegt, die nicht den Charakter eines Verwaltungsakts hat. Da die NV-Verfügung als innerdienstliche Maßnahme gewöhnlich nicht bekannt gegeben wird, kann bei Bekanntgabe bei dem Stpfl. der Eindruck entstehen, es sei ein Freistellungsbescheid erlassen worden. Zur RAO hatte der BFH entschieden, dass eine bekannt gegebene NV-Verfügung nicht die Wirkung eines Freistellungsbescheids haben könne, da der Wille des entscheidungsberechtigten Beamten nicht auf den Erlass eines Freistellungsbescheids gerichtet gewesen sei.[6] Diese Auffassung war unter Berücksichtigung der in der RAO geltenden Willenstheorie haltbar, verliert aber unter Berücksichtigung des § 155 Abs. 1 S. 2 AO ihre Begründung.[7]

 

Rz. 42

Nach der Erklärungstheorie ist für die Tragweite und den Inhalt einer Maßnahme der Verwaltung nicht mehr der Wille des entscheidungsbefugten Beamten maßgebend, sondern der Inhalt der bekannt gewordenen Verfügung, wie sie der redliche Verkehr verstehen durfte. Wenn also ein redlicher Teilnehmer am Steuerrechtsverkehr die bekannt gegebene NV-Verfügung als Freistellungsbescheid auffassen durfte, so entfaltet sie auch die Wirkungen eines Freistellungsbescheids.[8] So wird ein Freistellungsbescheid anzunehmen sein, wenn der Stpfl. eine Steuerfestsetzung beantragt hat[9] oder für die vergangenen Zeiträume regelmäßig veranlagt worden ist. Ist trotzdem der Regelungsgehalt nicht klar zu erkennen, ist auf die äußere Form abzustellen; so spricht eine Rechtsbehelfsbelehrung für einen Freistellungsbescheid.[10] Soll eine NV-Verfügung bekannt gegeben werden, ist ein ausdrücklicher Zusatz empfehlenswert, um die Wirkungen eines Freistellungsbescheids auszuschließen, etwa in der Form, dass darauf hingewiesen wird, dass die jederzeitige Wiederaufnahme des Steuerfalls auch ohne neue Gründe möglich sein soll, oder der Hinweis, dass es sich nicht um einen Steuerbescheid handelt, sondern nur um eine formlose, nicht bindende Mitteilung. Zweifel aufgrund unklarer Formulierung gehen zulasten der Behörde.

 

Rz. 42a

Eine bekannt gegebene NV-Verfügung kann auch den Charakter einer unverbindlichen Auskunft ohne Regelungscharakter haben.[11] Dies muss jedoch ebenfalls für den Empfänger nach den Grundsätzen der Erklärungstheorie erkennbar sein.

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