Allgemeiner Hinweis des EuGH: Unklar ist auch, was der EuGH meint, wenn er ausführt, dem LE dürfe der Direktanspruch nicht versagt werden, wenn "ihm weder Betrug noch Missbrauch oder nachweisliche Fahrlässigkeit vorzuwerfen sind."[16] Solche Fälle sind, außer bei kollusivem Zusammenwirken mit L, kaum denkbar.[17] Es dürfte sich daher bei den Ausführungen des EuGH um einen allgemeinen Vorbehalt handeln, der sich aus der in den vorstehenden Randnummern des Urteils zitierten Rechtsprechung ergibt und keinen konkreten Zusammenhang zum vorgelegten Fall aufweist.

Obliegenheiten des LE lt. FG Münster: Auch das FG Münster hatte im Vorlagebeschluss ausgeführt, der LE hätte Vorkehrungen zur Sicherung seiner zivilrechtlichen Ansprüche gegen L treffen müssen, z.B. durch rechtzeitige Einholung des Verzichts auf die Einrede der Verjährung.[18] Diese Ausführungen blieben allerdings insofern im luftleeren Raum stehen als nicht klar wird, wie sich LE – nachdem im Jahr 2019 entschieden wurde, dass sein Vorsteuerabzug für die VZ 2011 – 2013 zu kürzen sei – schon vorher darum hätte kümmern können, dass keine Verjährung eintritt.[19]

In der Sache jetzt wohl geklärt: Nach dem vorliegenden Urteil des EuGH erschiene es jedenfalls verwunderlich, wenn man die Geltendmachung des Direktanspruchs, der gerade aufgrund der Verjährung der zivilrechtlichen Ansprüche des LE gegen L entsteht, deswegen versagen wollte, weil Verjährung eingetreten ist.[20]

[16] EuGH v. 7.9.2023 – C-453/22 – Schütte, UR 2023, 758 Rz. 25.
[17] Auch ein Vorsteuerabzug i.H.v. 19 % entfällt nicht vollständig, wenn ein Steuerpflichtiger nicht bemerkt, dass die bezogene Leistung dem Steuersatz von 7 % unterlag. Er hat dann einen Vorsteuerabzug i.H.v. 7 %; vgl. BFH v. 19.11.2009 – V R 41/08, UR 2010, 265.
[18] Vgl. FG Münster v. 27.6.2022 – 15 K 2327/20 AO, UR 2022, 777 Rz. 37. Vom Eintritt der Verjährung gingen im vorliegenden Fall offenbar alle Beteiligten (einschl. des FG) aus. Zwar stellt § 199 Abs. 1 BGB für den Verjährungsbeginn auch darauf ab, wann der Gläubiger (hier LE) von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (wichtig: auf die zutreffende rechtliche Würdigung, insbesondere die Kenntnis von dem Anspruch, kommt es nicht an). Die Kenntnis der Umstände lag aber nach Ansicht der Beteiligten wohl vor. Zum Verjährungsbeginn bei mehrwertsteuerlichen Sachverhalten s. auch Streit/Dietz-Vellmer, DB 2019, 2259 (2262).
[19] Vgl. hierzu von Streit/Streit, UStB 2022, 291 (296). Das FG zog seine Folgerungen aus dem Urteil EuGH v. 13.1.2022 – C-156/20 – Zipvit, UR 2022, 104, wobei unklar blieb wo der Zusammenhang dieser Entscheidung mit dem vorliegenden ‚Schütte‘-Urteil liegen sollte. Auch der EuGH wies daher darauf hin, dass es sich um unterschiedliche Konstellationen handele; EuGH v. 7.9.2023 – C-453/22 – Schütte, UR 2023, 758 Rz. 28.
[20] Zum "Mitverschulden" des LE vgl. auch von Streit/Streit, MwStR 2022, 340, (341).

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