Urteil zum "Direktanspruch": Mit seinem ‚Schütte‘-Urteil vom 7.9.2023 hat der EuGH über eine Vorlage des FG Münster entschieden,[1] die den sog. Reemtsma-Anspruch bzw. Direktanspruch des Empfängers einer Leistung betraf; also den Anspruch des Leistungsempfängers (LE) gegen sein Finanzamt (FA) auf Erstattung von MwSt-Beträgen, die der Leistende (L) ihm zu Unrecht[2] in Rechnung gestellt und von ihm vereinnahmt hat, die LE aber von L nicht mehr oder nur unter Inkaufnahme besonderer Schwierigkeiten zurückerlangen kann, obwohl er zivilrechtlich einen Anspruch auf deren Rückzahlung hätte.[3]

Sachverhalt: Der zugrunde liegende Sachverhalt war folgender: LE zahlte L in den Veranlagungszeiträumen (VZ) 2011 bis 2013 zu viel MwSt (nämlich 19 % statt 7 %). L führte die Beträge an sein FA, das FA (L), ab. Das für LE zuständige FA, das FA (LE), versagte ihm am 30.9.2019 den Vorsteuerabzug i.H.v. 12 % und erhöhte seine Steuer entsprechend (zzgl. Zinsen). LE forderte die zu viel an L gezahlten MwSt-Beträge von diesem zurück, L machte aber die Einrede der Verjährung ggü. LE geltend und zahlte nicht. LE stellte daraufhin "mit Schreiben vom 24. Oktober 2019 einen Antrag beim [FA LE], ihm die nachgeforderte Umsatzsteuer und die festgesetzten Zinsen zur Umsatzsteuer [...] im Wege der Billigkeit gem. §§ 163, 227 Abgabenordnung (AO) zu erlassen. Dabei nahm er ausdrücklich Bezug auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs."[4] Das FA (LE) lehnte die Anträge im Dezember 2019 ab.

Vorlagefragen: Das FG sah einen Direktanspruch von LE gegen das FA (LE) unter Beachtung der unionsrechtlichen Grundsätze im Prinzip als möglich an. Es wollte aber zum einen vom EuGH wissen, ob dieser Anspruch (einschließlich Zinsen) auch dann bestehe, wenn L sich auf die Einrede der Verjährung berufe. Das FG war sich nicht sicher, ob die Erstattung für LE dann "unmöglich oder übermäßig erschwert" sei (oder ob das nur bei Zahlungsunfähigkeit des L der Fall sei).

Zum anderen wollte das FG wissen, ob der Anspruch auch dann bestehe, wenn es (zumindest theoretisch) möglich sei, dass L später seine Steuerschuld, die gem. Art. 203 MwStSystRL (§ 14c UStG) i.H.v. 12 % entstanden ist, in dem hierfür vorgesehenen Verfahren korrigiere und seinerseits die Erstattung der zu viel abgeführten MwSt von seinem FA verlange. In diesem Fall bestünde die Gefahr, dass der Fiskus die streitigen Beträge zweimal erstatten müsse.

[1] FG Münster v. 27.6.2022 – 15 K 2327/20 AO, UR 2022, 777. S. hierzu auch von Streit/Streit, UStB 2022, 291.
[2] Weil L die MwSt dem FA in dieser Höhe gar nicht schuldete.
[3] EuGH v. 7.9.2023 – C-453/22 – Schütte, UR 2023, 758. Zu diesem Urteil vgl. Weymüller, MwStR 2023, 807 (810); Nieskens, UR 2023, 758; Prätzler, jurisPR-SteuerR 46/2023 Anm. 5. Grundlegend zum Direktanspruch s. u.a. Meyer-Burow/Connemann, UStB 2015, 318 und 353; Sterzinger, UStB 2015, 193.

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