Beschluss v. 3.11.2022: Auch der BFH scheint nicht (mehr) zwingend von einem "Rückzahlungserfordernis" auszugehen. In einem derzeit anhängigen Verfahren muss der BFH über die Revision in einem Fall urteilen, in dem der insolvente L eine Steuerkorrektur durchgeführt, die erstatteten Beträge aber nicht an LE zurückgezahlt hat, und sich nun die Frage stellt, ob LE ein Direktanspruch gegen sein FA zusteht.[73]

Der BFH hält die Lage unionsrechtlich noch nicht für geklärt und hat den EuGH zunächst gefragt (erste Vorlagefrage), ob unter den näher bezeichneten Sachverhaltsumständen überhaupt die Voraussetzungen für einen Direktanspruch des LE vorlägen.[74]

Steuerkorrektur ohne Rückzahlung: Weiterhin fragte er in einer zweiten Vorlagefrage, ob es für die Beantwortung der ersten Vorlagefrage darauf ankomme, dass dem L die MwSt erstattet worden sei, obwohl L aufgrund seiner Insolvenz nichts an den LE zurückgezahlt habe.[75] In den Entscheidungsgründen führte er hierzu aus, es stelle sich "die Frage, ob dem Rückzahlungsanspruch des Rechnungsausstellers aufgrund der Rechnungsberichtigung gegen das FA oder dem Direktanspruch des Rechnungsempfängers gegen das FA Vorrang zukommt."[76]

Frage des "Vorrangs" stellt sich nur bei zwei rechtmäßigen Erstattungen: Da er überlegt, welcher Erstattung der Vorrang zukomme, stellt der BFH die Gültigkeit der Erstattung der MwSt des FA an den L im Steuerkorrekturverfahren, ohne dass dieser die erstatteten Beträge an den LE zurückgezahlt hat, nicht in Frage. Wäre nämlich die Erstattung vom FA an L mangels Rückzahlung der MwSt-Beträge von L an LE rechtswidrig gewesen, wäre diese rückabzuwickeln gewesen.[77] Die Frage, ob dem Rückzahlungsanspruch des L ggü. seinem FA im Steuerkorrekturverfahren oder dem Direktanspruch des LE Vorrang zukomme, würde sich dann nicht stellen.[78]

FG Münster: Auch das FG Münster ging bei seiner Vorlage vom 27.6.2022 nicht davon aus, dass die Rückzahlung von L an LE tatbestandlich erforderlich ist. Es stellte seine Vorlagefrage ja gerade für den Fall, dass L die Rückzahlung an LE verweigerte, sah aber gleichwohl die "Gefahr [...], dass die Finanzbehörde dieselbe Mehrwertsteuer zweimal erstatten muss."[79]

[73] BFH v. 3.11.2022 – XI R 6/21, UR 2023, 285. Anhängig beim EuGH als C-83/23. Vorinstanz FG Düsseldorf v. 4.12.2020 – 1 K 1510/18 AO, juris; s. hierzu auch unten VII.2.
[74] So habe der L im Streitfall die Möglichkeit gehabt, dem LE für die streitigen Umsätze – die nach Ansicht des BFH (nach italienischem Recht?) in Italien steuerbar und steuerpflichtig waren – Rechnungen unter Ausweis italienischer MwSt auszustellen, die LE im Vergütungsverfahren als Vorsteuer hätte zurückfordern können. LE hätte dann keinen zivilrechtlichen Anspruch auf Rückzahlung der an L gezahlten deutschen MwSt-Beträge gehabt, da er ja – quasi ersatzweise – italienische MwSt als Vorsteuer vergütet bekommen hätte. Vgl. BFH v. 3.11.2022 – XI R 6/21, juris Rz. 33 ff. Dazu, dass dieser Ansatz des BFH auf unzutreffenden zivil- und mehrwertsteuerrechtlichen Annahmen beruht, s. von Streit/Streit, MwStR 2023, 412 (415).
[75] Das FA wusste bei der Erstattung von der Insolvenz. Es war von einer Anspruchsdurchsetzungsmöglichkeit von weniger als 5 % auszugehen; vgl. BFH v. 3.11.2022 – XI R 6/21, UR 2023, 285 Rz. 31.
[77] Was im Fall der Insolvenz des L (größtenteils) unmöglich ist. Auch bei nicht insolventen Leistenden könnte sich die Frage stellen, ob eine Rückabwicklung der Steuerkorrektur noch möglich ist; z.B. nämlich dann, wenn die Veranlagung des Zeitraums, in dem die Erstattung erfolgte, bereits bestandskräftig ist. Das hat aber nichts mit der Frage zu tun, ob die Erstattung ursprünglich rechtmäßig war.
[78] Vgl. von Streit/Streit, MwStR 2023, 412 (414 und 421).

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