Pflicht des InsVerw: Fraglich ist des Weiteren, ob das Handeln des L missbräuchlich sein könnte, wenn er dem LE die MwSt-Beträge insolvenzbedingt nicht zurückzahlt. In diesen Fällen dürfte der Insolvenzverwalter, der die Verwaltung des Vermögens des L wahrnimmt, zur Durchführung eines Steuerkorrekturverfahrens insolvenzrechtlich sogar verpflichtet sein. Könnte in diesem Fall die Geltendmachung der Erstattung durch L bei seinem FA im Steuerkorrekturverfahren missbräuchlich sein, wenn LE bereits einen Direktanspruch geltend gemacht hat?[88]

Kein Abzielen auf ungerechtfertigten Steuervorteil: Der Unterschied zur entschiedenen Konstellation (Geltendmachung der Einrede der Verjährung durch L) läge darin, dass im Fall der Insolvenz zum einen der Umstand, dass L die MwSt-Beträge nicht an LE zurückzahlt, zum anderen die Steuerkorrektur wegen der Verpflichtung des Insolvenzverwalters zur Geltendmachung der Erstattungsansprüche gesetzlich zwingend vorgegeben wäre. Es wäre daher klärungsbedürftig, ob die Steuerkorrektur auch dann missbräuchlich sein könnte, wenn sie zu den gesetzlich vorgeschriebenen Pflichten des Insolvenzverwalters gehört.[89] Sein "Antrag" hätte in diesem Fall nicht (allein) den Zweck, einen Steuervorteil zu erlangen, der gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstößt.[90] Wesentlicher Zweck der Steuerkorrektur wäre vielmehr, im Interesse der Insolvenzgläubiger möglichst viel "Masse" zusammenzubringen, um deren Ansprüche so weit wie möglich (im Idealfall vollständig) erfüllen zu können.

Keine Feststellungen des EuGH: Zu diesen Fragen hat sich der EuGH in der Entscheidung vom 7.9.2023 nicht geäußert (dazu war er auch nicht befragt worden). Andererseits hat er auch nicht zwischen den Fällen der Insolvenz des L und der Geltendmachung der Verjährung durch L unterschieden. Beide Konstellationen gehören nach seinen Feststellungen gleichermaßen zu den Fällen, in denen es unmöglich oder übermäßig schwierig sein kann, die Erstattung der zu Unrecht in Rechnung gestellten und entrichteten Mehrwertsteuer zu erhalten.[91]

BFH: Der BFH jedenfalls hatte bei der Erstattung der MwSt an den insolventen L ohne Rückzahlung an den LE kein Störgefühl (s. oben V.5.).

[88] Sofern der Direktanspruch überhaupt besteht. Ablehnend BFH v. 30.6.2015 – VII R 42/14, juris. Ebenso die Vorinstanz FG Münster v. 3.9.2014 – 6 K 939/11 AO, juris; zustimmend Marchal, MwStR 2015, 27. S. hierzu auch von Streit/Streit, UStB 2022, 291 (292).
[89] Zum Verhältnis von Steuerkorrektur und Insolvenzverfahren s. auch Marchal, MwStR 2018, 835 (841); Oldiges, NWB 42/2018, 3074 (3077).
[90] So die Formulierung in EuGH v. 7.9.2023 – C-453/22 – Schütte, UR 2023, 758 Rz. 33. S. oben II.
[91] EuGH v. 7.9.2023 – C-453/22 – Schütte, UR 2023, 758 Rz. 29.

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