rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Erlass von Aussetzungszinsen aufgrund überlanger Dauer des Einspruchsverfahrens

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG gewährt den Rechtsunterworfenen einen Anspruch auf ein zügiges Verfahren und garantiert nicht nur den allgemeinen Zugang zum Gericht, sondern gewährleistet eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle der Ausübung öffentlicher Gewalt.

2. Wirksamer Rechtsschutz bedeutet auch im Interesse der Rechtssicherheit Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit. Die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens ist nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles zu bestimmen.

3. Der Verstoß gegen das Gebot eines zügigen Verfahrens und damit eines wirksamen Rechtsschutzes führt grundsätzlich nicht dazu, dass der staatliche Steueranspruch verwirkt ist.

4. Die Rechtsschutzgarantie gebietet es auch bei überlanger Verfahrensdauer nicht, dem Steuerpflichtigen Aussetzungszinsen ganz oder teilweise zu erlassen, wenn die Vollziehung der angefochtenen Bescheide ausgesetzt war.

 

Normenkette

GG Art. 19 Abs. 4; AO §§ 227, 237

 

Tenor

1. Das Verfahren wird fortgesetzt.

2. Die Klage wird abgewiesen.

3. Die Kosten des Verfahrens fallen der Klägerin zur Last.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um den Erlass von Aussetzungszinsen zur Umsatzsteuer 1996 und 1997.

Mit geänderten Umsatzsteuerbescheiden 1996 und 1997 vom 13. Februar 2001 setzte der Beklagte – das Finanzamt – die Umsatzsteuer 1996 auf DM 28.778,– und die Umsatzsteuer 1997 auf DM 57.967,– sowie jeweils Zinsen zur Umsatzsteuer fest. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein. Bei einer persönlichen Unterredung am 25. April 2001 (Blatt 81 der Steuerakte) wurde vereinbart, dass die beantragte Aussetzung der Vollziehung zu gewähren ist. Am 22. September 2004 äußerte sich erstmalig die Rechtsbehelfsstelle des Beklagten zu dem Einspruchsverfahren. Mit Schreiben vom 4. November 2004 entschuldigte sich die Rechtsbehelfsstelle für die übermäßig lange Bearbeitungsdauer. Nach weiterem Schriftverkehr wies das Finanzamt den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 28. Februar 2006 als unbegründet zurück (Blatt 209 der Steuerakte). Mit Schreiben vom 3. März 2006 teilte das Finanzamt der Klägerin mit, dass die gewährte Aussetzung der Vollziehung am 3. April 2006 beendet sei (Blatt 221 der Steuerakte).

Mit Bescheid vom 3. April 2006 setzte das Finanzamt Aussetzungszinsen i.H.v. EUR 8.865,– bei zugrundegelegten 60 Zinsmonaten fest. Auf die Zinsberechnung im Bescheid wird Bezug genommen (Blatt 225, 226 der Behördenakte). Der Einspruch hiergegen hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 31. Mai 2006).

Am 15. Juni 2006 beantragte die Klägerin bei dem Finanzgericht unter Vorlage einer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Prozesskostenhilfe. Sie legte einen Klageentwurf vor, in dem sie u.a. beantragte, den Bescheid über Aussetzungszinsen vom 3. April 2006 und die Einspruchsentscheidung vom 31. Mai 2006 aufzuheben. § 237 AO sei teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass bei überlanger Verfahrensdauer keine Aussetzungszinsen festgesetzt werden dürften. Zur Begründung verwies sie im wesentlichen auf den Beitrag von Heinrich List in Der Betrieb 2005, S. 571. Die bisher ergangenen BFH-Entscheidungen seien überholt und bedürften der Überprüfung. Dies dokumentierten der Beitrag von List, das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 27. Januar 2004 (13 K 1697/02) sowie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, wonach eine überlange Verfahrensdauer gegen das Rechtsstaatsgebot verstoße und daher nicht hingenommen werden könne.

Im Streitfall habe das Einspruchsverfahren unverhältnismäßig lange gedauert. Dies gelte um so mehr, als der Einspruch mit der Begründung zurückgewiesen worden sei, dass die frühzeitig vorgelegten Nachbuchungen nicht schlüssig nachvollzogen werden könnten. Gerade nach so langer Zeit könnten Steuerpflichtige Buchungslücken schwer oder gar nicht schließen.

Den Prozesskostenhilfeantrag wegen der beabsichtigen Klage gegen die Festsetzung der Aussetzungszinsen wies das Gericht mit Beschluss vom 17. August 2006 zurück.

Parallel zu den Rechtsbehelfen gegen die Festsetzung der Aussetzungszinsen verfolgte die Klägerin ihr hier streitiges Begehren auf Erlass der Aussetzungszinsen weiter. Diesen Antrag lehnte der Beklage am 1. Juni 2006 ab. Der Einspruch dagegen blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 22. Juni 2006).

Mit ihrer Klage vom 19. Juli 2006 macht die Klägerin geltend, dass die Versagung des Erlasses ermessensfehlerhaft sei. Der Beklagte hätte berücksichtigen müssen, dass es in Rechtsprechung und Literatur gewichtige Stimmen gebe, die als Konsequenz aus einer überlangen – nicht von der Klägerin verursachten – Verfahrensdauer den Erlass der Aussetzungszinsen forderten.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung der Entscheidung vom 1. Juni 2006 und der Einspruchsentscheidung vom 22. Juni 2006 zu verpflichten, den Er...

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