Entscheidungsstichwort (Thema)

Erlass von Aussetzungszinsen bei überlanger Verfahrensdauer

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Tritt ein Steuerberater gegenüber dem Finanzamt als Bevollmächtigter eines Steuerpflichtigen mit dessen stillschweigender Duldung auf, muss der Steuerpflichtige die Bekanntgabe von Bescheiden an den Steuerberater gegen sich gelten lassen. Auf das Fehlen einer schriftlichen Vollmacht kann sich der Steuerpflichtige nicht berufen.
  2. Vor Einführung der sog. Vollverzinsung (§ 233a AO) ist eine Erlass von Aussetzungszinsen nicht bereits deshalb zwingend geboten, weil der Steuerschuldner seinerseits mit Ansprüchen gegen den Steuergläubigers aufrechnen konnte.
  3. Die Rechtsschutzgarantie gebietet es auch bei überlanger Verfahrensdauer trotz bestehender aufrechenbarer Gegenansprüche grundsätzlich nicht, dem Steuerpflichtigen die Aussetzungszinsen (§ 237 AO) ganz oder teilweise gem. § 227 AO zu erlassen, wenn die Vollziehung der angefochtenen Bescheide ausgesetzt war.
  4. Allerdings ist die Verfahrensdauer eines Rechtsbehelfs von 19 Jahren verbunden mit einer Aussetzung der Vollziehung im Rahmen der Ermessensentscheidung betreffend den Erlass von Aussetzungszinsen eingehend zu berücksichtigen, wenn die lange Verfahrensdauer überwiegend vom Finanzamt zu vertreten ist und ernsthafte Erfolgsaussichten in der Sache bestehen.
 

Normenkette

AO §§ 237, 227

 

Streitjahr(e)

1972, 1973, 1974

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 29.05.2007; Aktenzeichen X R 24/04)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Zinsbescheides, der gegen den Kläger ergangen ist.

Dem Erlass des Zinsbescheides liegt Folgendes zu Grunde:

Der Kläger beteiligte sich ab dem Jahre 1970 an der I. Hotelgesellschaft mbH & Co Entwicklungs KG (nachfolgend I. KG) als Kommanditist. Nach einer bei der I. KG durchgeführten Betriebsprüfung für die Jahre 1970 bis 1974 wurden die ursprünglich geltend gemachten hohen Verluste reduziert und der Feststellungsbescheid geändert. Gegen den im Februar 1978 erlassenen Änderungsbescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen durch das Betriebsstättenfinanzamt in Frankfurt am Main legte die Kommanditgesellschaft Einspruch ein. Das Betriebsstättenfinanzamt setzte am 23. Mai 1978 die Vollziehung des Grundlagenbescheides aus.

Das Wohnsitzfinanzamt setzte im Hinblick auf den beim Betriebsstättenfinanzamt eingelegten Rechtsbehelf die Vollziehung der Einkommensteuer 1972 und 1974 mit Bescheid vom 1. August 1978 aus.

Gegen die im August 1990 erlassene Einspruchsentscheidung des Betriebsstättenfinanzamtes wurde Klage erhoben. Auf Grund einer tatsächlichen Verständigung über die Besteuerungsgrundlagen im Jahre 1995 erließ das Betriebsstättenfinanzamt am 5.September 1996 geänderte Grundlagenbescheide. Die ursprünglich geltend gemachten Verluste wurden zum Großteil wieder anerkannt. Das Wohnsitzfinanzamt änderte daraufhin die Einkommensteuerbescheide 1972-1974 mit Bescheiden vom 21.Februar 1997.

Mit Zinsbescheid vom 19.August 1997 setzte der Beklagte Zinsen hinsichtlich der gewährten Aussetzung der Vollziehung i.H.v. insgesamt 547.008,- DM fest, wobei der Zinslauf am 1.August 1978 begann und am 24. März 1997 endete.

Mit Schriftsatz seiner damaligen Bevollmächtigten vom 22. August 1997 beantragte der Kläger Erlass der Zinsen. Der Beklagte beabsichtigte zunächst, die Zinsen in Höhe von 260.628,- DM zu erlassen, da in den Jahren 1972 und 1974 Nachzahlungen zu leisten waren in Höhe von 463.344,- und 29.794,- DM, demgegenüber im Jahre 1973 eine Einkommensteuererstattung in Höhe von 234.866,- DM gegeben war. Denn ein Absehen von der Zinserhebung aus sachlichen Billigkeitsgründen - so das Finanzamt in den Aktenvermerken vom 18. Juni 2001 und 9. Januar 2002 - sei geboten, wenn dem Liquiditäts- und Zinsvorteil des Steuerpflichtigen ein Liquiditäts- und Zinsvorteil der Finanzbehörde gegenüberstehe, die der Höhe und der Zeitdauer nach vergleichbar seien; dies sei hier gegeben. Wegen Einzelheiten dieser zunächst vom Beklagten vertretenen Rechtsauffassung wird auf die Aktenvermerke (Blatt 35 und 110 des Sonderbandes Erlassantrag) Bezug genommen. Die wegen der Höhe des Erlassbetrages zu beteiligende Oberfinanzdirektion Frankfurt folgte dieser Rechtsauffassung mit Verfügung vom 14. März 2002 (Blatt 123 des Sonderbandes) nicht. Nach Auffassung der OFD Frankfurt sieht das Gesetz keinen Ansatz „fiktiver Erstattungszinsen” vor. Die Nachzahlungsbeträge für die Jahre 1972 und 1974 seien nämlich tatsächlich fällig geworden; diese seien lediglich durch eine (interne) Verrechnung mit dem Guthaben aus dem Jahre 1973 im Wege eines verkürzten Zahlungsweges ausgeglichen worden. Zu einer Unbilligkeit im Rahmen eines Erlassverfahrens führe dies nicht; denn der Gesetzgeber habe dies ausdrücklich so geregelt. Die Verzinsung von Steuerforderungen und Steuererstattungen nach § 233a AO sei erst durch das Steuerreformgesetz 1990 eingeführt worden und habe erstmals für Ansprüche gegolten, die nach dem 31. Dezember 1988 entstande...

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