Generelle Vollverzinsung unionsrechtswidrig: Fraglich ist zwar ohnehin, ob die Verzinsung gem. § 233a AO in ihrer jetzigen Form unionsrechtskonform ist. Es bestünde also für die Beteiligten im Prinzip die Möglichkeit, die Neutralität der Korrektur einer Steuerschuld gem. § 14c Abs. 1 UStG dadurch herzustellen, dass gegen die Festsetzung der Zinsen beim Leistungsempfänger vorgegangen wird.[16] Dann wäre es für die Steuerpflichtigen im Prinzip ohne Bedeutung, ob die Steuerkorrektur durch den Leistenden gem. § 14c Abs. 1 UStG rückwirkend gilt oder nicht.

Anders aber (bislang) Rspr.: Mit diesem Unterfangen beißen die Steuerpflichtigen bei den deutschen FG aber leider – zumindest bislang – auf Granit. Die Gerichte verteidigen die uneingeschränkte Rechtmäßigkeit der Verzinsung auch bei der Mehrwertsteuer gegen alle unionsrechtlichen Grundsätze, die der EuGH anführt. Im Grunde genommen, indem sie – ohne den Feststellungen des EuGH, die sich mit der Geltung der mehrwertsteuerlichen Grundsätze für steuerliche "Sanktionen" befassen,[17] wesentliche Aufmerksamkeit zu schenken – die Ausführungen aus früheren Urteilen nationaler Gerichte wiederholen[18] und die Vorlage entsprechender Fragen beim EuGH ablehnen.[19]

Vorlagepflicht: Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen bei den Gerichten offensichtlich nicht. Anderenfalls wären sie (wie auch andere nationale Stellen wie z.B. die Finanzbehörden) – sofern eine unionsrechtskonforme Auslegung nicht in Betracht kommt[20] – gehalten, die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten, indem sie erforderlichenfalls nationale Bestimmungen unangewendet lassen.[21] Das gilt auch bei einem Verstoß gegen die primärrechtlichen Grundsätze des Mehrwertsteuerrechts.[22]

Zinshöhe: Allein bezüglich der Zinshöhe von 6 % p.a. ist in Zeiten von Negativzinsen etwas Bewegung in die Rechtsprechung gekommen.[23] Immerhin.

[16] Zur Unionsrechtswidrigkeit der Verzinsung bei der Mehrwertsteuer vgl. z.B. Nagler, DStR 1999, 1176; Grams, UR 2000, 456; Jacobsen/Tietjen, UR 2003, 417; Körner, DStR 2010, 1363; Englisch, UR 2011, 648; Seer/Klemke, IFSt-Schrift Nr. 490 (2013); Drüen, StbJb. 2013/2014, 468; Slapio/Claus, UR 2014, 346; Behrens, FR 2015, 214; Dziadkowski, FR 2015, 922; Widmann, UR 2017, 18 (21); von Streit/Streit, MwStR 2021, 595.
[17] Vgl. u.a. EuGH v. 15.9.2016 – C-518/14 – Senatex, UR 2016, 800 Rz. 41; EuGH v. 8.5.2019 – C-712/17 – EN.SA, UR 2019, 469 Rz. 43; EuGH v. 26.4.2017 – C-564/15 – Farkas, UR 2017, 438 Rz. 59 ff.
[18] Vgl. BFH v. 11.5.2020 – V B 76/18, BFH/NV 2020, 1047. In diesem Beschluss geht der BFH zwar auf das Urteil des EuGH v. 31.5.2018 – C-660/16 und C-661/16 – Kollroß und Wirtl, UR 2018, 519, auf das die Klägerin verwiesen hatte, ein. Er hält es aber bei Zinsen nicht für einschlägig, da auf diese der Neutralitätsgrundsatz keine Anwendung finde; was u.E. in Anbetracht der Rechtsprechung des EuGH zu "Sanktionen" und deren Einbindung in die mehrwertsteuerlichen Prinzipien eine kaum haltbare Aussage ist; vgl. von Streit/Streit, MwStR 2021, 595 (599).
[19] Wobei der Beschluss des BVerfG vom 4.3.2021 nahelegen dürfte, dass künftige Entscheidungen, die eine Vorlageverpflichtung verneinen, ausführlicher zu begründen wären; vgl. BVerfG v. 4.3.2021 – 2 BvR 1161/19, FR 2021, 637 Rz. 55. Vgl. auch Kraft, NWB Nr. 18 v. 7.5.2021, 1288; Haselmann/Bösken, IWB Nr. 10 v. 28.5.2021, 416.
[20] EuGH v. 11.4.2013 – C-138/12 – Rusedespred OOD, UR 2013, 432 Rz. 37; zu den Auslegungsgrundsätzen s. auch EuGH v. 24.1.2012 – C-282/10 – Maribel Dominguez, Rz. 22 ff.
[21] Vgl. z.B. EuGH v. 8.9.2015 – C-105/14 – Taricco, UR 2016, 367 Rz. 49; EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 13.12.2007 – C-309/06 – Marks & Spencer, Rz. 72.
[22] Vgl. z.B. EuGH v. 8.9.2015 – C-105/14 – Taricco, UR 2016, 367 Rz. 50 ff.

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