Rz. 36

Das Ertragswertverfahren nach §§ 252ff. BewG wurde zwar in Anlehnung an das vereinfachte Ertragswertverfahren nach § 29 ImmoWertV[1] (Rz. 19ff.) geregelt, im Sinne einer praktikablen Anwendung in einem steuerlichen Massenverfahren kommt es ohne Typisierungen jedoch nicht aus. Gerade in Massenverfahren der vorliegenden Art verfügt der Gesetzgeber über einen – zugestandenen – großen Typisierungs- und Pauschalierungsspielraum.[2]

Im Vergleich zum vereinfachte Ertragswertverfahren nach § 29 ImmoWertV sind insbesondere folgende wesentliche Typisierungen zu nennen:

  • Rohertrag (§ 254 BewG)

    1. Ansatz von Erträgen auf der Grundlage von aus dem Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes abgeleiteten durchschnittlichen Nettokaltmieten anstelle des Rückgriffs auf tatsächlich vereinbarte Mieten oder übliche Mieten, die insbesondere aus Vergleichsmieten oder aus örtlichen Mietspiegeln hätten abgeleitet werden müssen
  • Bewirtschaftungskosten (§ 255 BewG)

    1. gesetzliche Vorgabe über die anzusetzenden – nicht umlagefähigen – Bewirtschaftungskosten nach pauschalierten Erfahrungssätzen (Abzug in tatsächlicher Höhe ist ausgeschlossen)
  • Kapitalisierung der Reinerträge (§§ 253, 256 BewG) / Abzinsung des Bodenwerts (§ 257 BewG)

    1. Restnutzungsdauer des Gebäudes

      • begrenzte Ermittlung der wirtschaftlichen Restnutzungsdauer des Gebäudes (§ 253 Abs. 2 S. 3–6 BewG: Verlängerung der Restnutzungsdauer nur bei Veränderungen, die zu einer wesentlich längeren Restnutzungsdauer führen (Kernsanierung); Mindestrestnutzungsdauer; Abbruchverpflichtung)
    2. Liegenschaftszinssätze (§ 256 BewG)

      • kein Rückgriff auf die von den örtlichen Gutachterausschüssen ermittelten Liegenschaftszinssätze, sondern gesetzliche Vorgabe von auf die Grundstücksart und die Restnutzungsdauer des Gebäudes bezogenen durchschnittlichen Liegenschaftszinssätze
    3. Ermittlung des Bodenwerts (§§ 257, 247 BewG)

      • Heranziehung des Bodenrichtwerts für das jeweilige Bodenrichtwertgrundstück; Abweichungen zwischen den Grundstücksmerkmalen des Bodenrichtwertgrundstücks und des zu bewertenden Grundstücks werden mit Ausnahme unterschiedlicher Entwicklungszustände und Arten der Nutzung bei überlagernden Bodenrichtwertzonen nicht berücksichtigt
  • Keine Berücksichtigung von besonderen objektspezifischen Grundstücksmerkmalen (Rz. 23, 27)
 

Rz. 37

Die weitreichenden Typisierungen (Rz. 36) bei gleichzeitiger Versagung der Möglichkeit, den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts erbringen zu können (§ 247 BewG Rz. 12), haben in der Fachöffentlichkeit Kritik an dem typisierten Ertragswertverfahren nach §§ 252ff. BewG ausgelöst. Teilweise werden die Regelungen zum typisierten Ertragswertverfahren wegen struktureller Wertverzerrungen als verfassungswidrig beurteilt.[3] Im Rahmen der öffentlichen Anhörung im Finanzausschuss des Deutschen Bundestag am 11.9.2019 zum Grundsteuer-Reformgesetz wurde insbesondere die unzureichende lagebezogene Differenzierung der durchschnittlichen Nettokaltmieten, wodurch Wohngrundstücke in guten Lagen systematisch unterbewertet und solche in einfachen Lagen systematisch überbewertet würden, bemängelt.[4]

 

Rz. 38

Der – teilweise berechtigt – vorgetragenen Kritik (Rz. 37) ist zunächst entgegenzuhalten, dass sich der Gesetzgeber im Bemühen, die verfassungsrechtlichen Vorgaben nach einer relations- und realitätsgerechten Bewertung mit dem Erfordernis eines praktikablen, weitgehend automatisiert ablaufenden Bewertungsverfahrens in einem steuerlichen Massenverfahren in Einklang zu bringen, intensiv mit der Frage der möglichen (verfassungsrechtlich zulässigen) Typisierungen auseinandergesetzt hat.

So sah sich die Bundesregierung z. B. in ihrer Gegenäußerung[5] zu der Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf des Grundsteuer-Reformgesetzes[6] veranlasst, die Vorschläge des Bundesrats zu weiteren Typisierungen der Bewertungsverfahren unter Hinweis auf die Einschränkung der relations- und realitätsgerechten Bewertung überwiegend abzulehnen. Sie wies insbesondere darauf hin, dass "im Interesse der Praktikabilität der Bewertungsverfahren in einem Massenverfahren und einer Minimierung des Erfüllungsaufwandes – teilweise im Kompromisswege – bereits einige Typisierungen in den Regierungsentwurf aufgenommen wurden. Zur Bewertung der Wohngrundstücke im Ertragswertverfahren wurde insbesondere anstelle der Erfassung der tatsächlich vereinbarten Mieten und der üblichen Mieten an die aus statistischen Grundlagen abgeleiteten durchschnittlichen Nettokaltmieten angeknüpft. Auf eine weitere Ausdifferenzierung der durchschnittlichen Nettokaltmieten in größeren Städten anhand der Bodenrichtwerte wurde verzichtet. …. Es gilt eine den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechende Reform umzusetzen."

Bei einer gleichheitsrechtlichen Beurteilung der Vorschriften des typisierten Ertragswertverfahrens nach den §§ 252ff. BewG sollten darüber hinaus nicht nur einzelne Bewertungsparameter, sondern deren Gesamtheit und Zusammenwirken in den Blick genommen werden.

Im typisierten Ertragswertverfahrens nach den §§ 252ff. BewG tra...

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