1. Unterhaltsberechtigte Kinder

 

Rn. 9

Stand: EL 154 – ET: 11/2021

Auszahlungsempfänger nach § 74 Abs 1 S 1 EStG kann nur das Zahl- oder Zählkind des Kindergeldberechtigten sein, für das das Kindergeld festgesetzt worden ist. Die Regelung betrifft in der Praxis überwiegend Kinder, die den elterlichen Haushalt verlassen haben sowie Kinder, die bei dem anderen Elternteil leben und beim Kindergeldberechtigten einen Zählkindvorteil auslösen, Wendl in H/H/R, § 74 EStG Rz 9 (Juni 2020). Voraussetzung für eine Abzweigung ist ferner, dass das Kind für sich selbst sorgt, V 33.3 Abs 1 S 3 DA-KG 2020; Wendl in H/H/R, § 74 EStG Rz 9 (Juni 2020).

§ 74 Abs 1 EStG erfasst sowohl Zahlkinder als auch anspruchserhöhend zu berücksichtigende Zählkinder (V 33.1 Abs 1 DA-KG 2020), die als eheliche (§ 1601ff BGB), nichteheliche (§ 1615aff BGB), für ehelich erklärte (§ 1723ff BGB) oder angenommene (Adoptiv-)Kinder (§ 1741ff BGB) gesetzlich unterhaltsberechtigt sind. Die Vorschrift ist nicht analog auf Stiefkinder und Pflegekinder ohne gesetzlichen Unterhaltsanspruch anzuwenden, da eine planwidrige Gesetzeslücke nicht vorliegt, FG SAnh v 05.07.2011, 4 K 882/10, EFG 2012, 430; FG BdW v 14.06.2012, 12 K 3606/11, EFG 2012, 2027; Wendl in H/HR, § 74 EStG Rz 7 (Juni 2020); hingegen analoge Anwendung bejahend: V 33.2 Abs 1 S 2 DA-KG 2020; Felix in K/S/M, § 74 EStG Rz B 6 (März 2015).

Der Abzweigung unterliegt das für ein Kind festgesetzte Kindergeld, soweit es nicht der Auszahlungsbeschränkung des § 70 Abs 1 S 2 u 3 EStG unterliegt, V 33.1 Abs 1 DA-KG 2020.

2. Nichterfüllung der Unterhaltspflicht

 

Rn. 10

Stand: EL 154 – ET: 11/2021

Die nicht bloß abstrakt, sondern im Einzelfall konkret festzustellende Unterhaltspflicht des Kindergeldberechtigten korrespondiert mit der anspruchsbegründenden Bedürftigkeit des unterhaltsberechtigten Kindes (vgl § 1602 BGB; BFH v 16.04.2002, VIII R 50/01, BStBl II 2002, 575; BFH v 17.03.2006, III B 135/05, BFH/NV 2006, 1285). Der Unterhaltsanspruch des Kindes setzt einen ungedeckten Unterhaltsbedarf des Kindes (FG D´dorf v 07.04.2016, 16 K 1697/15 Kg, FamRZ 2016, 1893) und die Leistungsfähigkeit des Kindergeldberechtigten (§ 1603 BGB) voraus. Es sind unterhaltsrechtliche Maßstäbe nach dem BGB und nicht sozialhilferechtliche Maßstäbe nach dem SGB II oder SGB XII anzulegen, FG SAnh v 29.03.2012, 4 K 916/11, EFG 2012, 1564. Das Kindergeld kann nach FG D'dorf EFG v 31.07.2008, 14 K 272/08 Kg, EFG 2008, 1983; FG SchlH v 15.09.2016, 4 K 82/16; FG SchlH v 28.06.2017, 2 K 217/16 zumindest dann an minderjährige Kinder abgezweigt werden, wenn ein Vormund bestellt ist, dem auch die Vermögensfürsorge obliegt. Eine Nichterfüllung der Unterhaltspflicht ist auch dann gegeben, wenn der Jugendhilfeträger die Kosten des notwendigen Unterhalts für das in einer betreuten Wohnform lebende volljährige Kind deshalb übernimmt, weil der Kindergeldberechtigte eine Beteiligung an den Kosten ablehnt, BFH v 15.07.2010, III R 89/09, BStBl II 2013, 695.

Die Abzweigung setzt lediglich die objektive Verletzung der gesetzlichen Unterhaltspflicht voraus, eine schuldhafte Verletzung der Unterhaltspflicht ist nicht erforderlich, BFH v 23.02.2006, III R 65/04, BStBl II 2008, 753; Wendl in H/H/R, § 74 EStG Rz 8 (Juni 2020); die Nichterfüllung einer individuellen Unterhaltsvereinbarung reicht nicht aus, BFH v 06.06.2006, III B 202/05, BFH/NV 2006, 1653. Es genügt eine partielle Pflichtverletzung, denn wer Leistungen schuldig bleibt, kommt iSv § 74 Abs 1 S 1 EStG seiner Unterhaltspflicht nicht nach, FG Brandenburg v 13.05.2004, 6 K 1098/03, EFG 2004, 1635. Dabei ist auf den einzelnen Monat abzustellen, FG Mchn v 12.12.2007, 10 K 4917/06, EFG 2008, 698.

Aber nicht bereits die einmalige oder die unwesentliche, sondern erst die fortdauernde Verletzung der Unterhaltspflicht rechtfertigt eine Abzweigung des Kindergelds, Wendl in H/H/R, § 74 EStG Rz 8 (Juni 2020); V 33.2 Abs 2 S 4 u 5 DA-KG 2020. Die insofern bedeutsame Höhe des Unterhaltsanspruchs ist primär dem rechtskräftigen Unterhaltstitel zu entnehmen. Liegt ein solcher nicht vor, müssen die von den Zivilgerichten entwickelten Orientierungshilfen (zB die Düsseldorfer Tabelle) sowie bei minderjährigen Kindern nach Wahl des Kindes die RegelbeitragsVO nach § 1612a BGB herangezogen werden; Wendl in H/H/R, § 74 EStG Rz 7 (Juni 2020); Selder in Blümich, § 74 EStG Rz 13 (Mai 2020).

Eine "einvernehmliche" Abzweigung des Kindergeldes sieht § 74 EStG hingegen nicht vor, BFH v 10.04.2012, III B 131/11, BFH/NV 2012, 1129.

Die Art der Unterhaltsgewährung für ein unverheiratetes Kind können nach § 1612 Abs 2 BGB die Eltern bestimmen. Die Eltern verletzen ihre Unterhaltspflicht nicht, wenn sie ihrem unverheirateten Kind den Unterhalt in Form von Unterkunft, Verpflegung und Bekleidung anbieten. Gegenüber einem volljährigen auswärts lebenden Kind ist jedoch grds Unterhalt durch eine Geldrente zu leisten, sodass eine Auszahlung des Kindergelds an das Kind erfolgen kann, wenn der Unterhaltsverpflichtete Naturalunterhalt anbietet, BFH v 17.03.2006, III B 135/05, BFH/NV 2006, 1285; FG D'dorf v 04.07.20...

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