Entscheidungsstichwort (Thema)

Verantwortlichkeit des Arbeitgebers für Abzug und Abführung der Sozialversicherungsbeiträge. Anspruch des Arbeitnehmers auf Abführung der Sozialversicherungsbeiträge (Erfüllung). Dreimonatiges Recht zum Abzug des Arbeitnehmeranteils. Nachholverbot bei Erhebung von Arbeitnehmeranteilen. Fälligkeit der Umlage nach § 64 Abs. 6 Satzung VBL. Schadensersatz bei verspäteter Abführung von Arbeitnehmeranteilen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Arbeitgeber ist im Arbeitsverhältnis für die Abführung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages nach §§ 28d, 28e SGB IV verantwortlich.

Dazu gehört auch die richtige Berechnung und Abführung der Kranken-, Arbeitslosen-, Pflege- und. Nach § 28g SGB IV hat der Arbeitgeber dabei einen Anspruch gegen den Arbeitnehmer auf den von ihm zu tragenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags. Diesen Anspruch kann der Arbeitgeber nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend gemacht werden.

2. Die Abführung von Beiträgen zur Sozialversicherung begründet einen besonderen Erfüllungseinwand. Es bedarf keiner Aufrechnung und damit auch keiner Beachtung der Pfändungsfreigrenzen nach §§ 394 BGB, 850 ff. ZPO.

Die Erfüllungswirkung tritt nur nicht ein, wenn für den Arbeitgeber auf Grund der für ihn zum Zeitpunkt des Abzugs bekannten Umstände eindeutig erkennbar gewesen ist, dass eine Verpflichtung zum Abzug nicht besteht.

3. Nach § 28g Satz 3 SGB IV darf ein unterbliebener Abzug nur bei den drei nächsten Lohn- oder Gehaltszahlungen nachgeholt werden, danach nur dann, wenn der Abzug ohne Verschulden des Arbeitgebers unterblieben ist. Bei verspäteter Gehaltszahlung und -abrechnung handelt es sich nicht um ein Unterbleiben von Abzügen im Sinne des § 28g SGB IV, das zu einem Nachholverbot führen könnte

4. Die Umlage wird nach § 64 Abs. 6 Satzung VBL grundsätzlich in dem Moment fällig, in dem das zusatzversorgungspflichtige Entgelt dem Pflichtversicherten zufließt.

Die Fälligkeit der Beträge kann aber frühestens mit der Begründung der Pflichtversicherung eintreten. Ohne das Bestehen einer Pflichtversicherung besteht noch keine Beitragspflicht. Die Pflichtversicherung beginnt nach § 27 Abs. 1 S. 1 Satzung VBL erst mit Eingang der Anmeldung des Arbeitnehmers und zwar mit dem Zeitpunkt, der auf der Anmeldung als Versicherungsbeginn angegeben ist.

5. Die Tatsache, dass die Pflicht, Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung zu zahlen, den Arbeitnehmer später getroffen hat, stellt keinen ersatzfähigen Schaden dar.

 

Normenkette

SGB IV §§ 28d, 28e, 28g; TV-L §§ 25, 37; BGB §§ 394, 611a, 812; ZPO § 850c; BetrAVG § 1; Satzung VBL §§ 27, 64; ZPO § 97 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Berlin (Entscheidung vom 19.10.2020; Aktenzeichen 54 Ca 15666/19)

 

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19. Oktober 2020 - 54 Ca 15666/19 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung teilweise zu Unrecht vom Novembergehalt 2019 der Klägerin einbehalten hat.

Die verheiratete und drei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Klägerin ist seit April 2004 bei der Beklagten in Teilzeit in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt. Die privatrechtlich verfasste Beklagte ist die Tochter einer öffentlich-rechtlich verfassten Stiftung, die in Berlin ein Museum unterhält. Die Beklagte erbringt mit circa 160 Arbeitnehmern Dienstleistungen für das von der Stiftung unterhaltene Museum.

Am 21. August 2017 schloss die Beklagte mit der tarifzuständigen Gewerkschaft mit Wirkung zum 1. Januar 2018 einen Tarifvertrag über die Anwendung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) (Blatt 60 bis 62 der Akte). Nach § 25 TV-L haben die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes der Länder Anspruch auf eine betriebliche Altersversorgung nach Maßgabe des Tarifvertrags über die betriebliche Altersversorgung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, die über die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) abgewickelt wird. Hierzu erhebt die VBL von den beteiligten Arbeitgebern eine monatliche Umlage von 8,26 Prozent des versorgungspflichtigen Entgelts, von dem 6,45 Prozent vom Arbeitgeber und 1,81 Prozent vom Arbeitnehmer zu tragen sind.

Mit Schreiben vom 12. Dezember 2018 (Blatt 73 der Akte) teilte die VBL der Beklagten mit, dass ihr Vorstand dem Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung mit der Beklagten mit Wirkung zum 1. Januar 2018 zugestimmt habe und übersandte der Beklagten eine entsprechende Vereinbarung, die die Beklagte am 18. Dezember 2018 gegenzeichnete (Blatt 75 der Akte).

Die Beklagte meldete ihre Arbeitnehmer zunächst mit Wirkung zum 1. Juli 2019 bei der VBL an. Im Oktober 2019 korrigierte die Beklagte die Anmeldung zum 1. Januar 2018 und führte 8,26 Prozent des in der Zeit vom 1. Januar 2018 bis 30. September 2018 bezogenem versorgungspflichtigen Entgelts an die VBL ab (Blatt 56, 132f. der Akte). Für den Monat November 2019 rechnete die Beklagte zuguns...

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