Rz. 208

[Autor/Stand] In europäischen Nachbarländern sind Vorfeldermittlungen nicht gleichartig geregelt. So lässt das französische Strafverfahrensrecht spezielle Vorfeldermittlungen bei Straftaten der organisierten Kriminalität[2] zu. In einem französischen Vorfeldermittlungsverfahren gegen den KryptoMessengerdienst "EncroChat[3]" wurden ca. 32.000 Telefone in 120 Ländern (im Ergebnis ca. 100 Millionen Nachrichten), auch auf deutschem Hoheitsgebiet, überwacht. Angesichts des Ausmaßes und der Eingriffstiefe war klärungsbedürftig, ob die Ergebnisse in einem deutschen Strafverfahren verwendet werden durften (s. allgemein § 399 Rz. 1250 ff.). Dabei war eindeutig, dass eine verdachtslose Überwachung der Kommunikation nach deutschem Straf- und Verfassungsrecht nicht zulässig ist[4]. Der BGH[5] und diverse Oberlandesgerichte[6] sahen die Verwendung von Beweismitteln aus dem Ausland, welche so niemals in Deutschland aus unzulässigen Vorfeldermittlungen hätten gewonnen werden dürfen, als zulässig an. Nach der Rspr. spielt es somit keine Rolle, ob eine derartige französische Beweiserhebung nach deutschem Recht zulässig wäre[7]. Zudem verursacht die Einführung von digitalen Daten aus entsprechenden französischen Ermittlungen in den Strafprozess diverse Rechtsprobleme im Hinblick auf ein verfassungskonformes Verfahren[8].

 

Rz. 209

[Autor/Stand] Unzulässig bleibt mit dem Ergebnis eines Beweisverbots das sog. "Befugnis-Shopping", demnach deutsche Ermittler zur Umgehung von deutschen Verboten (so auch keine strafprozessualen Vorfeldermittlungen) sich gezielt unter Nutzung von europäischen Verfahrensordnungen bei ausländischen Ermittlern die gewünschten Ergebnisse beschaffen[10]. Es bleibt abzuwarten, ob die anhaltende Veränderung der rechtpolitischen Ausgangslage (wie schon bei Abschaffung des Bankgeheimnisses nach § 30a AO, s. Rz. 604) dazu führt, dass verdachtslose strafprozessuale Vorfeldermittlungen mit den Eingriffsbefugnissen der StPO in Deutschland ebenfalls legitimiert werden sollen.

[Autor/Stand] Autor: Bode, Stand: 01.01.2023
[2] Zur diesbezüglichen Ausgestaltung des französischen Rechts Wahl, ZIS 2021, 452 (455).
[3] Derin/Singelnstein, NStZ 2021, 449 zu den vielfältigen Rechtsproblemen, die insoweit zu beachten sind; aus Verteidigersicht Sommer, StV Spezial 2021, 67 ff.; Gebhard/Michalke, NJW 2022, 655.
[4] KG v. 30.8.2021 – 2 Ws 79/21, 2 Ws 93/21 – 161 AR 134/21, MMR 2021, 917 Rz. 39 = StraFo 2021, 424; Derin/Singelnstein, StV 2022, 130 (132); es ist diesbezüglich auch keine Ermittlungsgrundlage im deutschen Strafverfahren durch Kombination bestehender Ermittlungsgrundlagen zu erreichen; vgl. Nadeborn/Albrecht, NZWiSt 2021, 420 ff.
[5] So der 6. Strafsenat BGH v. 8.2.2022 – 6 StR 639/21, juris m. Anm. Beukelmann/Heim, NJW-Spezial 2022, 216; der 5. Strafsenat BGH v. 2.3.2022 – 5 StR 457/21, NJW 2022, 1539 m. Anm. Cornelius = CR 2022, 465 m. Anm. Vassilaki = wistra 2022, 209; m. Anm. Zeyher, NZWiSt, 2022, 248 m. Anm. Rückert, NStZ 2022, 446; m. Anm. Sommerer/Rehberger, RDi 2022, 306; m. Anm. Petersen, StV 2022, 679; und der 4. Strafsenat BGH v. 5.7.2022 – 4 StR 61/22, juris; gegen die Entscheidung des 6. Strafsenats des BGH ist Verfassungsbeschwerde zum BVerfG erhoben worden (BVerfG 2 BvR 558/22); zu Fragen des Grundrechtsschutzes Ruppert, NZWiSt 2022, 221.
[7] Zur entsprechenden Sicht eines Staatsanwalts Pauli, NStZ 2021, 146.
[8] Kipker/Bruns, MMR 2022, 363.
[Autor/Stand] Autor: Bode, Stand: 01.01.2023
[10] OLG Brandenburg v. 26.7.2021 – 2 Ws 94/21, juris Rz. 11; Labusga, NStZ 2021, 702 (704).

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge