Rz. 45

[Autor/Stand]"Genügender Anlass" i.S.d. § 400 Satz 1 AO besteht nach überwiegender Ansicht, wenn der Beschuldigte einer strafbaren Handlung – hier einer Steuerstraftat (vgl. § 369 AO) – hinreichend verdächtig ist (§§ 203, 408 Abs. 2 StPO, s. § 385 Rz. 127, 592; § 397 Rz. 5, vgl. auch Nr. 84 Abs. 2 AStBV (St) 2020; s. AStBV Rz. 84)[2]. Ein derartiger Tatverdacht ist nur dann zu bejahen, wenn nach dem Ergebnis der Ermittlungen aus Sicht des sachbearbeitenden Beamten bei vorläufiger Tatbewertung eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch[3].

Das gilt jedoch nicht für die Entscheidung des Richters über den Strafbefehlsantrag (s. Rz. 146). Er darf den Strafbefehl nur dann antragsgemäß erlassen, wenn er nach Überprüfung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in Übereinstimmung mit der StA/StraBu zu der Überzeugung gelangt, dass der Angeschuldigte die ihm zur Last gelegte Steuerstraftat (vgl. § 369 AO) schuldhaft begangen hat.

 

Rz. 46

[Autor/Stand] Etwa verbleibende Restzweifel in tatsächlicher Hinsicht bei einem im Übrigen aber nach wie vor hinreichenden Tatverdacht beseitigen den Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage dann nicht mehr. Für die Entschließung der FinB nach § 400 AO gilt der Grundsatz "in dubio pro reo" nicht (anders dagegen Nr. 5 Satz 2 i.V.m. Nr. 79 ff. AStBV (St) 2020; s. AStBV Rz. 5, 79 ff.)[5]. Derartige tatsächliche Zweifel gewinnen allerdings mittelbar Bedeutung, da sie im Einzelfall die Prognose über die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung beeinflussen können.

 

Rz. 47

[Autor/Stand] Die Aufklärung von bloßen Widersprüchen, die den hinreichenden Tatverdacht grds. aber nicht infrage stellen, dürfen und müssen ggf. sogar einer Hauptverhandlung überlassen bleiben[7]. Zu den Anforderungen an eine hinreichende Konkretisierung der Tat im Strafbefehlsantrag s. Rz. 99 ff.

 

Rz. 48

[Autor/Stand] Rechtlicher Beurteilungsmaßstab für die Prognose, ob eine Verurteilung wahrscheinlich ist, ist nach der vom BGH vertretenen Ansicht außer dem Gesetz auch die ständige bzw. gefestigte höchstrichterliche Rspr.[9]. Beabsichtigt die FinB dennoch im Gegensatz zur Rspr. eine Einstellung des Verfahrens, steht es ihr jedoch frei, die Akten unter ausführlicher Darlegung ihrer rechtlichen Einschätzung der StA zur weiteren Entscheidung vorzulegen. Bejaht die FinB hingegen trotz einer entgegenstehenden gefestigten herrschenden Rspr. einen genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage, handelt die FinB nur dann noch rechtmäßig, wenn sie eine erneute Überprüfung der gegenteiligen Rspr. beabsichtigt und nach sorgfältiger und umfassender Prüfung der Rechtslage der berechtigten Auffassung sein durfte, die bisherige Rspr. zumindest durch neue Argumente ernsthaft erschüttern zu können[10]. Andernfalls begibt sich der Finanzbeamte, der gleichwohl den Antrag auf Erlass eines Strafbefehls stellt, in die Gefahr einer Verfolgung Unschuldiger (§ 344 StGB).

 

Rz. 49

[Autor/Stand] Fehlt es an einem hinreichenden Verdacht, so hat die Ermittlungsbehörde das Verfahren gem. § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO einzustellen (s. § 385 Rz. 555 ff.). Dies gilt auch dann, wenn ein Verfahrenshindernis besteht (z.B. Verfolgungsverjährung oder Schmuggelprivileg gem. § 32 ZollVG, s. § 382 Rz. 45, 59 ff.)[12].

 

Rz. 50

[Autor/Stand] Liegt ein hinreichender Tatverdacht vor, kann die Ermittlungsbehörde das Verfahren in den gesetzlich bestimmten Fällen wegen Geringfügigkeit gem. §§ 153 ff. StPO einstellen (sog. Opportunitätsprinzip, s. § 385 Rz. 559 ff.).

Die für das Steuerstrafverfahren geltende Sonderregelung des § 398 AO sieht eine Einstellung des Steuerstrafverfahrens bei bestimmten Steuerdelikten mit geringwertigen Steuerverkürzungen durch die StA und/oder FinB auch ohne Zustimmung des Gerichts vor. Das Recht der Ermittlungsbehörde, Steuerstrafverfahren unabhängig von dem verwirklichten Tatbestand in allen Fällen geringer Tatfolgen selbständig einzustellen, folgt allerdings bereits aus § 153 Abs. 1 Satz 2 StPO, so dass die Regelung des § 398 AO weitgehend leerläuft (s. § 398 Rz. 6).

Zu den Möglichkeiten eines Absehens von der Strafverfolgung gem. § 398a AO s. die Erl. dort., insb. § 398a Rz. 33.

 

Rz. 51

[Autor/Stand] Einstellungsverfügungen, die in den genannten Fällen ergehen, entfalten – abgesehen von der Einstellung gem. § 153a StPO gegen Geldauflage (vgl. § 153a Abs. 1 Satz 5 StPO, s. § 385 Rz. 572) – keine Rechtskraftwirkung. Die FinB ist nicht gehindert, das Ermittlungsverfahren in derselben Sache wieder aufzunehmen, wenn neue Verdachtsmomente bekannt werden oder sich eine andere rechtliche Beurteilung ergibt (s. Rz. 35).

Im Falle einer Einstellung gem. § 398a StPO ist eine Wiederaufnahme nach Maßgabe des § 398a Abs. 3 AO zulässig (s. § 398a Rz. 35 f.).

 

Rz. 52

[Autor/Stand] Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Ermittlungsbehörde das Strafverfahren auch aussetzen kann, wenn

  • die Beurteilung der Tat als Steuerhinterziehung vom rechtskräftigen Abschluss des Besteuerungsverfahrens abhängt (§ 396 AO);
  • die Erhebung der öffentlichen...

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