Rz. 109

[Autor/Stand] Da § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO kein Sonderdelikt ist (s. Rz. 91), ist zunächst irrelevant, ob der faktische Geschäftsleiter zur Erfüllung der (steuer-)rechtlichen Pflichten einer Kapitalgesellschaft nach §§ 34, 35 AO verpflichtet ist, oder ob diese Pflicht nur die formell bestellten gesetzlichen Vertreter der Kapitalgesellschaft trifft (s. Rz. 118 ff.). Denn verfassungsrechtliche Bedenken[2] gegen die Einbeziehung faktischer Organpersonen in den Täterkreis bestehen bei Allgemeindelikten nicht; es gelten vielmehr die allgemeinen Regeln zur Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahme.

 

Rz. 109.1

[Autor/Stand] Als faktischer Geschäftsführer einer GmbH (oder faktischer Vorstand einer AG) wird derjenige angesehen, der die Geschicke des Unternehmens als "Seele des Geschäfts" maßgeblich nach innen und außen bestimmt[4]. Insofern nimmt diese Person faktisch Organaufgaben wahr, ohne formell zum Vertretungsorgan bestellt worden zu sein[5]. Eine solche Stellung wird jedenfalls dann bejaht, wenn die Person die Geschicke der Gesellschaft allein bestimmt[6] oder ihr eine herrschende oder überragende Stellung in der Kapitalgesellschaft zukommt[7], was auch dann der Fall sein kann, wenn andere Personen rechtswirksam zu Organen bestellt wurden. Augenfällig ist das insb., wenn die rechtlich verbindlich zum Organ bestellte Person bloßer "Strohmann" des eigentlich Herrschenden ist.

 

Beispiel 38

Die faktisch eine Aktiengesellschaft beherrschende Person bestellte einen Bonbon-Koch und seinen Privatjäger als Vorstandsmitglieder "seiner" AG. Beide kannten die wirtschaftlichen Verhältnisse der AG nicht und folgten den Weisungen des Herrschenden blind. Geschäftlich waren sie völlig unerfahren.

 

Rz. 109.2

[Autor/Stand] Gefordert wird ein Einfluss des faktischen Geschäftsführers auf unternehmerische Grundentscheidungen, wobei zumindest sechs der nachfolgenden Kriterien vorliegen müssen[9]:

  • Bestimmung der Unternehmenspolitik,
  • Unternehmensorganisation,
  • Einstellung und Entlassung von Mitarbeitern, Erstellen von Zeugnissen,
  • Entscheidung der Steuerangelegenheiten,
  • Gestaltung der Geschäftsbeziehungen zu den Vertragspartnern der Gesellschaft einschließlich Vereinbarung von Vertrags- und Zahlungsmodalitäten,
  • Verhandlungen mit Kreditgebern,
  • Steuerung der Buchhaltung und Bilanzierung,
  • hohes Gehalt[10].
 

Rz. 109.3

[Autor/Stand] Zudem müssen die für die Bestellung der Organpersonen Zuständigen wenigstens konkludent mit der Tätigkeit der faktischen Organperson einverstanden sein oder sie doch zumindest dulden[12].

 

Rz. 109.4

[Autor/Stand] Aufgrund seiner Stellung in der Gesellschaft wird der faktische Geschäftsleiter i.d.R. inhaltlich bestimmen, ob unrichtige oder unvollständige steuerliche Angaben gemacht werden, so dass er insofern als derjenige angesehen werden kann, der das Geschehen beherrscht (s. Rz. 98 ff.). Er kann aber gleichwohl nicht unmittelbarer Täter sein, wenn die formell bestellte Organperson die unrichtige Steuererklärung der juristischen Person unterzeichnet, nicht aber der faktisch Herrschende. Denn durch die Unterzeichnung wird die Erklärung zur Erklärung des formell bestellten Organs, das sie für die Gesellschaft abgibt (s. Rz. 107.4)[14]. Der faktisch Herrschende kann deshalb nur dann Täter sein, wenn ihm das Verhalten des Strohmanns[15] über § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB (s. Rz. 110 ff.) oder § 25 Abs. 2 StGB (s. Rz. 113.11) zugerechnet werden kann bzw. wenn er selbst nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO oder § 13 StGB verpflichtet ist, richtige oder vollständige Angaben für die Gesellschaft zu machen (s. Rz. 118.4). Zu Strohmanngeschäften bei der Umsatzsteuer s. Rz. 1390 ff.

[Autor/Stand] Autor: Ransiek, Stand: 01.05.2022
[Autor/Stand] Autor: Ransiek, Stand: 01.05.2022
[4] BGH v. 10.5.2000 – 3 StR 101/00, BGHSt 46, 62 (65); BayObLG v. 20.2.1997 – 5St RR 159/96, GmbHR 1997, 453 = DB 1997, 923 = DB 2000, 1858 = ZIP 2000, 1390; Dierlamm, NStZ 1996, 153 (156).
[5] Vgl. Ransiek in Achenbach/Ransiek/Rönnau, HWSt5, 8. Teil 1 Rz. 31.
[6] BGH v. 24.6.1952 – 1 StR 153/52, BGHSt 3, 32 (37 f.); BGH v. 28.6.1966 – 1 StR 414/65, BGHSt 21, 101 (104).
[7] BGH v. 10.5.2000 – 3 StR 101/00, BGHSt 46, 62 (65) = GmbHR 2000, 878 = DB 2000, 1858 = ZIP 2000, 1390; BGH v. 22.9.1982 – 3 StR 287/82, BGHSt 31, 118 (122) = GmbHR 1983, 43 = wistra 1983, 31 = ZIP 1983, 173.
[Autor/Stand] Autor: Ransiek, Stand: 01.05.2022
[9] Dierlamm, NStZ 1996, 153 (157).
[10] Vgl. BGH v. 13.12.2012 – 5 StR 407/12, NStZ 2013, 529 Rz. 7 ff. = GmbHR 2013, 257 = ZIP 2013, 313 = wistra 2013, 140 = ZWH 2013, 148 m. Anm. Trück.
[Autor/Stand] Autor: Ransiek, Stand: 01.05.2022
[12] BGH v. 22.9.1982 – 3 StR 287/82, BGHSt 31, 118 (123) = GmbHR 1983, 43 = wistra 1983, 31 = ZIP 1983, 173.
[Autor/Stand] Autor: Ransiek, Stand: 01.05.2022
[15] S. dazu Madauß, NZWiSt 2013, 332 ff.; zu den Haftungsrisiken des Strohmanns OLG Celle v. 10.5.2017 – 9 U 3/17, ZIP 2017, 1325 =...

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