Rz. 57

[Autor/Stand] Trotz der Notwendigkeit, dass ein Erfolg in Form einer Steuerverkürzung oder der Erlangung eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils eintreten muss, damit vollendetes Unrecht vorliegt, ist § 370 AO nicht (immer) als Verletzungsdelikt zu begreifen[2] (s. dazu näher Rz. 392 ff., 506). Durch § 370 Abs. 4 Satz 1 AO ist zwingend vorgegeben, dass es jedenfalls nicht zu einer "wirklichen", dauerhaften Verletzung staatlicher Vermögensinteressen im Hinblick auf den Steueranspruch oder zu einer faktischen Beeinträchtigung des Steueraufkommens in dem Sinn kommen muss, dass der Staat weniger Steuergelder einnimmt, als ihm bei zutreffender Festsetzung einer Steuer zufließen würden.

Der Verkürzungserfolg tritt aufgrund der ausdrücklichen Regelung des § 370 Abs. 4 Satz 1 AO schon bei unrichtiger Festsetzung der Steuer ein, ganz unabhängig davon, ob die Festsetzung später berichtigt wird bzw. berichtigt werden kann oder ob der Steuerschuldner tatsächlich in der Lage war, die geschuldeten Steuern zu zahlen oder nicht. Es ist also für den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs gleichgültig, ob er jemals wieder zahlungsfähig wird. Allein für die Strafzumessung kann relevant sein, inwieweit tatsächlich eine Vermögenseinbuße des Staates durch die Tathandlung eingetreten ist. Denn nach § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB sind für die Strafzumessung die verschuldeten Auswirkungen der Tat zu berücksichtigen (s. Rz. 1033 ff.). Für die Frage, ob der Tatbestand erfüllt ist, ist der Eintritt eines so verstandenen wirtschaftlichen Schadens aber gerade nicht Voraussetzung.

 

Rz. 58

[Autor/Stand] Aus § 370 Abs. 4 Satz 1 AO folgt insb., dass der Verkürzungserfolg auch dann anzunehmen ist, wenn eine Steuer nur vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird. Nach § 165 Abs. 1 AO kann eine Steuer vorläufig festgesetzt werden, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten sind. Solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, kann die Steuer nach § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden. Schon durch den Wortlaut dieser Normen wird deutlich, dass eine wie auch immer verstandene abgeschlossene Schädigung des Steueraufkommens nicht Tatbestandsvoraussetzung sein kann. Da in diesen Fällen angelegt ist, dass die so festgesetzte Steuer nur eine vorläufige Regelung darstellt und geändert werden kann, erscheint es überzeugender, den Erfolg des § 370 AO in einer Gefährdung des Steueraufkommens[4], nicht aber in einer aktuellen, schon eingetretenen Verletzung zu sehen.

Zwar werden auch bei §§ 263, 266 StGB (konkrete) Vermögensgefährdungen als Schaden im Sinne der Norm angesehen und jedenfalls früher zum Teil sehr weitgehend aktuelle Risiken einer künftigen Vermögenseinbuße bereits als aktueller (Gefährdungs-)Schaden begriffen (s. aber zur Rspr. des BVerfG Rz. 28.3)[5]. Es besteht aber keinerlei Anlass, diese für §§ 263, 266 StGB problematische, aber dort auch für die Unterscheidung von vollendetem und versuchtem Delikt bzw. Vollendung und Straflosigkeit relevante Abgrenzungsfrage für § 370 AO zu übernehmen[6]. Denn hier ist diese Frage, ob man "nur" eine Gefährdung oder "schon" einen Schaden annehmen will, angesichts der klaren Regelung des § 370 Abs. 4 Satz 1 AO tatbestandlich ohne Belang. Vollendungsstrafbarkeit tritt jedenfalls vorverlagert ein, d.h. vor Eintritt einer eigentlichen Vermögenseinbuße, was dafür spricht, den Gefährdungscharakter zu betonen.

"Die Steuerhinterziehung ist zwar Erfolgsdelikt, jedoch – wie die Vorschrift des § 370 Abs. 4 Satz 1 AO zeigt – nicht notwendig Verletzungsdelikt (vgl. Senat BGH v. 10.12.2008 – 1 StR 322/08, wistra 2009, 114, 117). Die im Festsetzungsverfahren begangene Steuerhinterziehung ist vielmehr konkretes Gefährdungsdelikt [...], wobei die geschuldete Steuer bereits dann verkürzt ist, wenn die Steuer nicht rechtzeitig festgesetzt wird."[7]

Dieser Gefährdungscharakter wird jedenfalls zum Teil auch durch die gesetzlichen Formulierungen bei einzelnen Steuerarten sehr deutlich. So schuldet nach § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG derjenige den als Umsatzsteuer ausgewiesenen Betrag, der in einer Rechnung Umsatzsteuer gesondert ausweist, obwohl die dort dokumentierte Lieferung gar nicht ausgeführt wird[8], es also eigentlich gar keinen steuerbaren Vorgang gibt. Wird dieser Umsatz insofern nicht erklärt, tritt der Hinterziehungserfolg ein. Demgegenüber kann der Empfänger der Rechnung die ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG nur dann als Vorsteuer geltend machen, wenn die Lieferung tatsächlich ausgeführt wurde. Ist das nicht der Fall, zieht er aber trotzdem die Vorsteuer, macht der Empfänger sich wegen Steuerhinterziehung strafbar.

Erklären lässt sich das nur mit einer Gefährdung des staatlichen Steueraufkommens: Der Aussteller einer Scheinrechnung führt ggf. die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer nicht an den Fiskus ab, während der Rechnungsempfänger die ihm in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vors...

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