Rz. 17

[Autor/Stand] Zu unterscheiden sind die Steuerstraftaten insb. von den Steuerordnungswidrigkeiten und Normen mit besonderen steuerrechtlichen oder sonstigen Sanktionen wie dem Verspätungs- (§ 152 AO) oder Säumniszuschlag (§ 240 AO) bzw. dem nach § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO zu zahlenden Geldbetrag (s. § 398a Rz. 4 m.w.N.). Entscheidend für die Einordnung als Strafnorm ist die Androhung von Geld- oder Freiheitsstrafe, wobei allerdings vor allem bei der Geldstrafe problematisch ist, ob die vom Gesetzgeber gewählte Bezeichnung einer Geldsanktion für ihre Qualifikation als Strafe oder Nicht-Strafe mit den daraus folgenden Konsequenzen – insb. der Anwendbarkeit der im Strafverfahren geltenden Schutzvorschriften zugunsten des Beschuldigten – verbindlich sein kann oder ob nicht die Besonderheit der Strafe unabhängig von ihrer Bezeichnung[2] aus materiellen Kriterien abzuleiten ist[3]. Nicht entscheidend für die Einordnung als Strafe oder sonstige Sanktion ist jedenfalls die Höhe einer angedrohten Geldsanktion, da etwa die Geldbuße im Kartellrecht ein Vielfaches der im Kriminalstrafrecht zulässigen Geldstrafe erreichen kann und auch tatsächlich erreicht[4]. Sicher ist auch, dass nicht jede Einbuße an Freiheit oder Vermögen den Strafcharakter einer Sanktion begründet[5] und dass Strafe mehr als eine reine Präventionsmaßnahme ist[6].

 

Rz. 18

[Autor/Stand] Ob jedoch der nach verbreiteter Auffassung mit der Strafe verbundene besondere sozialethische Tadel als Ausdruck vergeltender Gerechtigkeit für einen schuldhaften Normverstoß[8] ausreicht, Strafe qualitativ oder doch zumindest quantitativ von anderen Sanktionen abzuheben und die Besonderheit der Strafe zu begründen, ist zweifelhaft[9]. Verfolgt der Gesetzgeber bewusst nicht den Zweck, mit einer Sanktion einen solchen Tadel auszudrücken, wäre es ihm freigestellt, durch diesen Verzicht den besonderen verfassungsrechtlichen Bindungen des Strafrechts zu entgehen. Eine Geldsanktion könnte dann bspw. gesetzlich gerade nicht als Strafe für steuerunehrliches Verhalten ausgestaltet und so benannt werden, sondern in der Verhängung eines Vielfachen der hinterzogenen Steuer unter der Bezeichnung Steuerzuschlag (so etwa früher die Regelung in Preußen[10]) bestehen. Damit könnte etwa das verfassungsrechtlich verankerte Schuldprinzip des Strafrechts, nach dem die Verhängung von Strafe persönliche Schuld voraussetzt[11], oder der "in dubio pro reo"-Grundsatz unterlaufen werden.

 

Rz. 19

[Autor/Stand] Praktische Bedeutung hat die Einordnung einer Sanktion und des Verfahrens, in dem sie verhängt wird, heute etwa für die Geltung des "ne bis in idem"-Grundsatzes auf europäischer Ebene, wenn zu klären ist, ob es sich um eine strafrechtliche Aburteilung der Tat oder ggf. nur um eine verwaltungs- oder steuerrechtliche Erledigung des Verfahrens nicht strafrechtlicher Natur handelt (s. § 370 Rz. 561 ff.)[13].

[Autor/Stand] Autor: Ransiek, Stand: 01.02.2022
[2] Zur Bezeichnung einer zivilrechtlichen Sanktion als Strafe vgl. BGH v. 4.11.2021 – I ZB 54/20, NJW 2022, 245 Rz. 30 = EWiR 2022, 63 (Pitsch).
[3] Vgl. zur Problematik des Strafcharakters der Einziehung von Taterträgen (Verfall) nach § 73 StGB bei Anwendung des Bruttoprinzips BVerfG v. 10.2.2021 – 2 BvL 8/19, wistra 2021, 193 Rz. 106 ff. = ZWH 2021, 294; BVerfG v. 14.1.2004 – 2 BvR 564/95, BVerfGE 110, 1 (13); BGH v. 21.8.2002 – 1 StR 115/02, BGHSt 47, 369 (372 f.); BGH v. 21.3.2002 – 5 StR 138/01, BGHSt 47, 260 (267); vgl. Saliger in NK5, § 73 StGB Rz. 13 f.
[4] Vgl. zum Wirtschaftsstrafrecht Achenbach, ZStW 119 (2007), 789 ff.; zum Unternehmensstrafrecht vgl. Ransiek in Lüderssen/Kempf/Volk, Unternehmensstrafrecht, S. 285 ff.
[6] BVerfG v. 19.3.2013 – 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11, BVerfGE 133, 168 Rz. 54 = ZWH 2013, 166 = StraFo 2013, 153; BVerfG v. 24.10.1996 – 2 BvR 1851/94, 2 BvR 1852/94, 2 BvR 1853/94, 2 BvR 1875/94, BVerfGE 95, 96 (140).
[Autor/Stand] Autor: Ransiek, Stand: 01.02.2022
[8] BVerfG v. 10.2.2021 – 2 BvL 8/19, wistra 2021, 193 Rz. 106 ff. = ZWH 2021, 294; BVerfG v. 14.1.2004 – 2 BvR 564/95 110, 1 (13); BVerfG v. 6.6.1967 – 2 BvR 375/60, 2 BvR 53/60, 2 BvR 18/65, BVerfGE 22, 49 (79); BGH v. 4.5.1960 – 2 StR 367/59, BGHSt 14, 264; Kinzig in Schönke/Schröder30, Vorbem. § 38 StGB Rz. 37; Kindhäuser, Strafrecht AT9, § 1 Rz. 1; Frister, Strafrecht AT9, Kap. 1 Rz. 12 f.; Roxin/Greco, Strafrecht AT I5, § 2 Rz. 130 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT6, § 1 Rz. 48.
[9] Vgl. Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 293 ff.
[10] Joecks in JJR8, Einl. Rz. 38.
[Autor/Stand] Autor: Ransiek, Stand: 01.02.2022
[13] Vgl. etwa zur belgischen "Transactie" BGH v. 13.5.1997 – 5 StR 596/96, NStZ 1998, 149 ff. m. Anm. Lagodn...

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