Das FG Niedersachsen sieht in dem gesonderten Steuersatz des § 32d EStG i.H.v. 25 % eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung zwischen

  • Beziehern privater Kapitaleinkünfte gem. § 20 EStG und
  • den übrigen Steuerpflichtigen, die nach § 32a EStG einem Steuersatz von bis zu 45 % unterliegen.

Diese Ungleichbehandlung der Besteuerung, die bis zu 20 Prozentpunkte betragen könne, vergrößere sich nach Auffassung des Gerichts zudem mit steigendem Einkommen[61].

Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG: Die Ungleichbehandlung verstoße gegen das objektive Nettoprinzip und den Grundsatz der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit[62], weshalb die Abgeltungsteuer nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei[63].

Keine Rechtfertigungsgründe ersichtlich: Dieser Verstoß lasse sich nach Auffassung des FG Niedersachsens auch nicht mit dem vom BVerfG entwickelten Rechtfertigungsgrund der "Verfolgung von Förderungs- oder Lenkungszwecken" rechtfertigen[64]. Nach Auffassung des Gerichts genügten die in den Gesetzesmaterialien genannten Rechtfertigungsgründe den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht; weitere Rechtfertigungsgründe seien nicht ersichtlich[65].

Hierzu untersucht das FG Niedersachsen vor allem – wie die nachfolgenden Ausführungen verdeutlichen –,

  • ob die Abgeltungsteuer zu einem effektiven Steuervollzug oder der Beseitigung eines strukturellen Vollzugsdefizits führt,
  • ob sie zur Standortförderung des deutschen Finanzplatzes beiträgt und
  • ob sie zur Erzielung von Vereinfachungseffekten im Besteuerungsverfahren geeignet ist.

a) Keine Eignung für effektiven Steuervollzug und zur Beseitigung des Vollzugsdefizits

Das Gericht hält die Abgeltungsteuer grds. nicht für geeignet,

  • einen effektiven Steuervollzug zu verwirklichen oder
  • ein eventuelles strukturelles Vollzugsdefizit zu beseitigen.

Erforderlichkeit der Abgeltungsteuer entfallen: Unabhängig von der grundsätzlichen Geeignetheit der Norm sei die Erforderlichkeit zwischenzeitlich entfallen[66]. Zumindest für Inlandssachverhalte existierte nach Auffassung des Gerichts schon vor Einführung der Abgeltungsteuer kein strukturelles Vollzugsdefizit mehr[67], wohingegen sich wegen des Grundsatzes der formellen Territorialität[68] für im Ausland verwaltetes Vermögen zweifelsfrei ein Vollzugsdefizit ergeben habe[69]. Beachten Sie: Doch die Einführung der Abgeltungsteuer habe

  • weder die Möglichkeiten der deutschen Finanzbehörden, nicht erklärte ausländische Kapitaleinkünfte zu ermitteln, verbessert,
  • noch Steuerpflichtige dazu motiviert, bislang unversteuertes Kapitalvermögen dem deutschen Fiskus zu deklarieren[70].

Tatsächliche Gründe für Rückführung von Steuersubstrat nach Deutschland: Vielmehr hätten erst

  • ein höheres Entdeckungsrisiko von Steuerhinterziehung und
  • eine Verschärfung der Strafandrohung

zu der gewünschten Rückführung von Steuersubstrat nach Deutschland geführt[71]. Insbesondere die erhebliche Verbesserung des internationalen Auskunftsverkehrs[72], gepaart mit der gesamtpolitischen Entwicklung[73] hätten hier eine präventive Wirkung entfaltet.

Die Erforderlichkeit der Abgeltungsteuer zur Vermeidung von Steuerhinterziehung sei daher spätestens ab dem Jahr 2012 entfallen[74]. Damit steht die Auffassung des Gerichts in Einklang mit den Literaturmeinungen, die den Ausbau des zwischenstaatlichen Auskunftsverkehrs als Hauptargument für die Abschaffung der Abgeltungsteuer anführen[75].

b) Keine Eignung zur Standortförderung

Die Abgeltungsteuer ist nach Auffassung des FG Niedersachsen nicht zur Standortförderung des deutschen Finanzplatzes geeignet. Zum einen sei die in den Gesetzesmaterialien genannte Verbesserung der "Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Finanzplatzes", die mit der Einführung der Abgeltungsteuer erreicht werden sollte, vom Gesetzgeber nicht hinreichend bestimmt, sondern nur als vage Zielsetzung ausgestaltet[76].

Zum anderen sei der Abgeltungsteuersatz im Vergleich mit anderen EU-Staaten nicht so attraktiv niedrig, dass er geeignet ist, auf internationaler Ebene zu einem Besteuerungsvorteil zu führen und damit die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Finanzplatzes zu erhöhen[77].

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