Leitsatz

1. Hat das Finanzamt aufgrund irriger Beurteilung des Sachverhalts in einem Feststellungsbescheid den Zeitpunkt des grunderwerbsteuerbaren Erwerbsvorgangs fehlerhaft angegeben und wurde der Feststellungsbescheid deshalb in der Folge wegen Rechtswidrigkeit gerichtlich aufgehoben, kann es nach § 174 Abs. 4 Satz 1 und 3 der Abgabenordnung in einem weiteren Feststellungsbescheid die richtigen steuerlichen Folgerungen aus der Aufhebung innerhalb eines Jahres nach Aufhebung des Feststellungsbescheides ziehen.

2. Führt die Errichtung einer neuen Kirchengemeinde durch Vereinigung anderer Kirchengemeinden dazu, dass sich unmittelbar oder mittelbar mindestens 95 % (heute: 90 %) der Anteile an grundbesitzenden Gesellschaften bei der neu errichteten Kirchengemeinde vereinigen, unterliegt diese Anteilsvereinigung zu dem Zeitpunkt nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) der Grunderwerbsteuer, an dem die staatliche Anerkennung wirksam erteilt wird.

3. Die Besteuerung der Vereinigung von mindestens 95 % von Anteilen an grundbesitzenden Gesellschaften nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG als Folge der staatlich anerkannten Bildung oder Veränderung von Kirchengemeinden verstößt nicht gegen das verfassungsrechtlich garantierte kirchliche Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 des Grundgesetzes GG – i.V.m. Art. 137 Abs. 3 der Verfassung des Deutschen Reichs – WRV –) und auch nicht gegen die verfassungsrechtlich garantierte Kirchengutsgarantie (Art. 140 GG i.V.m. Art. 138 Abs. 2 WRV).

4. Erhält im Zuge der Vereinigung von Kirchengemeinden die neu errichtete Kirchengemeinde Vermögenswerte, liegt keine freigebige Zuwendung der Gesellschaftsanteile von den aufgelösten Kirchengemeinden an die neu errichtete Kirchengemeinde im Sinne der Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG vor.

5. § 4 Nr. 1 GrEStG ist nur auf den Erwerb von Grundstücken, nicht auf Anteilsvereinigungen anzuwenden.

 

Normenkette

§ 1 Abs. 3 Nr. 2, § 3 Nr. 2 Satz 1, § 4 Nr. 1 GrEStG, § 89 Abs. 2, § 174 Abs. 4 AO, § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 3, Art. 138 Abs. 2 WRV, can. 515 § 2, can. 121 CIC, § 1, § 4, § 6 KathKiGemVbgBek NW

 

Sachverhalt

Die Klägerin war eine Kirchengemeinde. Sie wurde durch Urkunde des zuständigen Bischofs aufgrund der Vereinigung verschiedener Kirchengemeinden, unter anderem der Kirchengemeinde A und B, neu errichtet (gemäß can. 121 CIC). Nach der Errichtungsurkunde wurde das gesamte Vermögen der vereinigten Kirchengemeinden der Klägerin zugeführt. Die bischöfliche Urkunde wurde durch den Regierungspräsidenten anerkannt, sodass die Klägerin mit diesem Tag die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erhielt.

Die Kirchengemeinde A war mit 80 % und die Kirchengemeinde B mit 20 % am Stammkapital der grundbesitzenden F‐GmbH beteiligt. Die F‐GmbH erwarb, errichtete und betrieb katholische karitative Einrichtungen. Die F‐GmbH war Alleingesellschafterin der ebenfalls grundbesitzenden F‐Krankenhaus-GmbH.

Nach einer Außenprüfung vertrat das FA die Auffassung, dass durch den Übergang des Kirchenvermögens 100 % der Anteile an der F‐GmbH in der Hand der Klägerin vereinigt worden seien und es sich um einen nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG steuerbaren Erwerbsvorgang handele. Betroffen seien sowohl die Grundstücke der F‐GmbH als auch die der F‐Krankenhaus-GmbH. Gegen den daraufhin erlassenen Bescheid über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die GrESt erhob die Klägerin erfolgreich Klage. Der BFH hob den Bescheid auf, da im Feststellungbescheid der falsche Steuerstichtag angegeben worden war. Die Klägerin war nicht bereits mit der Anordnung des Bischofs, sondern erst zum Zeitpunkt der Anerkennung durch den Regierungspräsidenten rechtlich wirksam errichtet worden.

Das FA erließ daraufhin unter Berufung auf § 174 Abs. 4 Satz 1 und 2 AO einen neuen Bescheid über die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die GrESt mit dem Stichtag der Anerkennung der Klägerin durch den Regierungspräsidenten. Die hiergegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg (FG Münster, Urteil vom 17.6.2021, 8 K 364/21 GrE, Haufe-Index 14670860, EFG 2021, 1571).

 

Entscheidung

Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen.

 

Hinweis

1. Es handelt sich um ein Verfahren im zweiten Rechtsgang. Das FA hatte zunächst irrig angenommen, dass steuerlicher Stichtag für die Vereinigung von mindestens 95 % der Anteile der grundbesitzenden GmbHs nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG durch die Zusammenlegung der Kirchengemeinden der Tag der Unterzeichnung der Errichtungsurkunde durch den Bischof gewesen ist. Diesen Bescheid hat der BFH aufgrund der Revision der Klägerin aufgehoben, da die unmittelbare Vereinigung aller Anteile der F‐GmbH und die dadurch bedingte mittelbare Vereinigung aller Anteile der F‐Krankenhaus-GmbH bei der Klägerin erst mit dem Tag der staatlichen Anerkennung der Zusammenlegung wirksam wurde. In dem nunmehr angefochtenen Feststellungsbescheid hat das FA die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen und den zutreffe...

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