[Ohne Titel]

Prof. Dr. Peter Zaumseil / Hülya Özkan, M.A.[*]

Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden. Ergibt sich hieraus eine niedrigere Steuer, gilt dies jedoch nur, wenn den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder die Beweismittel erst nachträglich bekannt werden oder die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln stehen, die zu einer höheren Steuer führen (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 AO). Der Beitrag untersucht die in diesem Zusammenhang auftretende Frage, wann von einem groben Verschulden nach dieser Vorschrift auszugehen ist.

[*] Prof. Dr. Peter Zaumseil ist Professor für Betriebliche Steuerlehre an der HTW Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für Betriebliche Steuerlehre an der HTW Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.

I. Ausgangsüberlegung: Verschulden im Steuerverfahren

Das vom Gesetz vorausgesetzte grobe Verschulden kann nicht unmittelbar aus seinem Wortlaut heraus ausgelegt werden. Ebenso wenig hat der Gesetzgeber diesen unbestimmten Rechtsbegriff durch die AO legaldefiniert. Daher gilt als Ausgangspunkt für die systematische Auslegung des Tatbestandsmerkmals "grobes Verschulden" das Verhältnis von Untersuchungsgrundsatz und Mitwirkungspflichten im Besteuerungsverfahren.

II. Auslegung des Begriffs des groben Verschuldens

1. Allgemeines

Inhaltlich ist das Verschulden auf das nachträgliche Bekanntwerden gerichtet (vgl. hierzu Szymczak in Koch/Scholz, AO, 5. Aufl., § 173 Rz. 19) und resultiert – nicht zuletzt auch hinsichtlich der verschuldensabhängigen bzw. verschuldensunabhängigen Differenzierung nach steuererhöhenden und steuermindernden Tatsachen und Beweismitteln – aus der Steuererklärungspflicht als der primären Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen (in diesem Sinne auch BFH v. 12.5.1989 – III R 200/85, BStBl. II 1989, 920 [921]). Unter diese fällt nicht nur die Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung nach § 149 Abs. 1 AO, sondern auch die Pflicht,

  • gem. § 150 Abs. 2 AO die Steuererklärung wahrheitsgemäß nach besten Wissen und Gewissen zu tätigen,
  • gem. § 150 Abs. 4 Satz 1 AO die geforderten Unterlagen vorzulegen sowie
  • gem. 153 AO die abgegebene Erklärung zu berichtigen

(vgl. hierzu Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 74; von Wedelstädt in Gosch, AO/FGO, § 173 AO Rz. 82).

Verschulden bezüglich Mitwirkungspflichten: Inhaltlich kann sich das Verschulden daher nur auf die Verletzung einer Pflicht beziehen, weshalb für das Steuerverfahren nur die Mitwirkungspflichten in Betracht kommen (vgl. Koenig in Koenig, AO, 4. Aufl. 2021, § 173 AO Rz. 112; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 74; von Wedelstädt in Gosch, AO/FGO, § 173 AO Rz. 82). Der Steuerpflichtige ist gem. § 90 Abs. 1 AO zur Angabe von vollständigen und wahrheitsgemäßen für die Besteuerung erheblichen Tatsachen und Beweismitteln als auch die wahrheitsgemäße Offenlegung der erheblichen Tatsachen und Beweismittel zur Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet (vgl. hierzu Koenig in Koenig AO, 4. Aufl., § 173 Rz. 112; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 74; Rätke in Klein, AO, 15. Aufl., § 90 Rz. 6). Demzufolge bezieht sich das grobe Verschulden auf die Verletzung einer solchen Pflicht und die daraus resultierende Unkenntnis der Finanzbehörden hinsichtlich der Tatsachen und Beweismittel, die durch den Steuerpflichtigen anzugeben sind (vgl. hierzu Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 74).

Objektiver oder subjektiver Verschuldensbegriff?: Fraglich ist im Rahmen der Auslegung des Tatbestandsmerkmal "grobes Verschulden" aber, ob in Anlehnung an das Zivilrecht von einem objektiven oder subjektiven Verschuldensbegriff auszugehen ist.

Ein subjektiver Verschuldensbegriff orientiert sich an der persönlichen Verantwortung des Rechtsverpflichteten und bezieht daher persönliche Verhältnisse des Steuerpflichtigen zur Ermittlung des Sorgfaltsmaßstabs ein (so auch Friedl, DStR 1991, 1616 [1616]). Anhand der Gegebenheiten des Einzelfalls und den individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten wird sodann ein individueller Beurteilungsmaßstab für den Verschuldungsgrad abgeleitet.

Demgegenüber würde ein objektiver Verschuldensbegriff bei der Bestimmung des Maßstabes für die Fahrlässigkeit die individuellen Fähigkeiten zur Voraussicht und zur Vermeidung des missbilligenden Erfolgs außer Acht lassen (Caspers in Staudinger BGB, § 276 BGB Rz. 29. So auch Grundmann in MünchKomm/BGB, § 276 BGB Rz. 55) und sich daran orientieren, wie sich ein gewissenhafter, besonnener Angehöriger eines jeweiligen Verkehrskreises in der betreffenden Lage verhalten hätte (Schulze in Schulze, Bürgerliches Gesetzbuch, 10. Aufl., § 276 BGB Rz. 13; Stadler in Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch 18. Aufl., § 276 BGB Rz. 29). Ausschlaggebend für die Ermittlung des Sorgfaltsmaßstabs sind daher insoweit die im Verkehr verlangten Fähigkeiten ohne Rücksicht auf die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Betroffenen (BGH v. 31.5.1994 – VI ZR 233/93, NJW 1994, 2232).

Da die AO da...

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