OFD Frankfurt, 22.11.2011, S 7227 A - 21 - St 112

Konsequenzen des EuGH-Urteils vom 22.12.2010, C-273/09 (ABl. EU 2011 Nr. C 63 S. 5)

Bezug: BMF-Schreiben vom 11.8.2011, BStBl 2011 I S. 824
  FinMin Hessen, Erlass vom 14.11.2011, S 7227 A – 010 – II 52/2
 

1. Lieferung von Gehhilfe-Rollatoren

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Nr. 52 Buchst. b der Anlage 2 zum UStG unterliegen die Lieferungen, die Einfuhr und der innergemeinschaftliche Erwerb von orthopädischen Apparaten und anderen orthopädischen Vorrichtungen einschließlich Krücken sowie medizinisch-chirurgischer Gürtel und Bandagen, ausgenommen Teile und Zubehör (aus Unterposition 9021 10 des Zolltarifs) dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7 %.

Mit Urteil vom 22.12.2010, C-273/09 (ABl. EU 2011 Nr. C 63 S. 5) hat der EuGH entschieden, dass die Verordnung (EG) Nr. 729/2004 der Kommission vom 15.4.2004 zur Einreihung von bestimmten Waren in die Kombinierte Nomenklatur in der Fassung der am 7.5.2004 veröffentlichten Berichtigung ungültig ist, soweit zum einen durch die Berichtigung der Anwendungsbereich der ursprüngliche Verordnung auf Gehhilfe-Rollatoren erstreckt worden ist, die aus einem Aluminiumrohrrahmen auf vier Rädern, mit vorderen Drehlagerrädern, Griffen und Bremsen bestehen und ihrer Beschaffenheit nach als Hilfe für Personen mit Gehschwierigkeiten bestimmt sind, und zum anderen die Verordnung in der berichtigten Fassung diese Gehhilfe-Rollatoren in die Unterposition 8716 80 00 der Kombinierten Nomenklatur einreiht. Nach Rz. 56 des Urteils sind Gehhilfe-Rollatoren in die Position 9021 einzureihen. Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt Folgendes:

Die Lieferungen, die Einfuhr und der innergemeinschaftliche Erwerb von Gehhilfe-Rollatoren unterliegen nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Nr. 52 Buchst. b der Anlage 2 zum UStG dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7 %.

Gehhilfe-Rollatoren dienen dem Nutzer als Stütze beim Gehen und bestehen im Allgemeinen aus einem röhrenförmigen Metallrahmen auf drei oder vier Rädern (von denen einige oder alle drehbar sind), Griffen und Handbremsen. Gehhilfe-Rollatoren können in der Höhe verstellbar und mit einem Sitz zwischen den Griffen sowie einem Korb zur Aufbewahrung persönlicher Gegenstände ausgestattet sein. Der Sitz gestattet dem Benutzer, kurze Rasten einzulegen.

Diese Regelungen sind in allen offenen Fällen anzuwenden. Soweit bisher ergangene Verwaltungsanweisungen – insbesondere das BMF-Schreiben vom 5.8.2004, IV B 7 – S 7220 – 46/04 (BStBl 2004 I S. 638) – die Anwendung der Umsatzsteuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Nr. 52 Buchst. b der Anlage 2 zum UStG ausschließen, sind sie nicht mehr anzuwenden.

Für vor dem 1.10.2011 ausgeführte Umsätze mit Gehhilfe-Rollatoren wird es – auch für Zwecke des Vorsteuerabzugs des Leistungsempfängers – nicht beanstandet, wenn sich der leistende Unternehmer auf die entgegen stehenden Regelungen des BMF-Schreibens vom 5.8.2004, IV B 7 – S 7220 – 46/04 (a.a.O.) beruft und den Umsatz dem allgemeinen Umsatzsteuersatz unterwirft.

 

2. Überlassung von Rollatoren gegen Zahlung einer Fallpauschale

Nach Ergehen des BMF-Schreibens vom 11.8.2011 haben sich vermehrt Rechtsanwender aus der Wirtschaft an das BMF gewandt und um Auskunft zur Behandlung von Umsätzen aus der Vermietung eines Rollators gegen Zahlung einer Fallpauschale, die neben der Gebrauchsüberlassung auch eine im Bedarfsfall notwendige Reparatur oder Ersatzgestellung abdeckt, gebeten.

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterung mit den obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder wird hierzu folgende Auffassung vertreten:

Durch den Abschluss eines Mietvertrages verpflichtet sich der Vermieter, dem Mieter den Gebrauch der Mietsache während der Mietzeit zu gewähren. Nach § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB hat der Vermieter die Mietsache dem Mieter in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen und sie während der Mietzeit in diesem Zustand zu erhalten. Mit der Reparatur bzw. der Ersatzgestellung des Rollators erfüllt der Vermieter mithin Pflichten, die sich kraft Gesetzes aus dem abgeschlossenen Mietvertrag ergeben und die in umsatzsteuerrechtlicher Hinsicht das Schicksal der Gebrauchsüberlassung teilen. Demnach unterliegen sowohl die Vermietung des Rollators als auch die gegen die Zahlung der Fallpauschale auf Grundlage von § 535 Abs. 1 Satz 2 BGB erbrachten weiteren Leistungen (insbesondere Reparatur bzw. Ersatzgestellung) dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7 %.

Die Rdvfg. vom 16.8.2011, S 7227 A – 21 – St 112 (USt-Kartei OFD Ffm. § 4 – Fach S 7227 – Karte 3) ist durch diese Rdvfg. überholt.

 

Normenkette

UStG § 12 Abs. 2 Nr. 1

UStG Anlage 2 Nr. 52 Buchst. b

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