Rz. 53

Bis zur Einführung des § 5 Abs. 1 S. 2 EStG durch das Gesetz v. 22.12.1989[1] war die Frage umstritten, ob der Maßgeblichkeitsgrundsatz auch für die Ausübung von Bilanzwahlrechten gilt. Solche Bilanzierungswahlrechte beruhen regelmäßig auf steuerlichen Vergünstigungen. Es wird dem Stpfl. überlassen, ob er von der Vorschrift Gebrauch macht und dadurch während der Begünstigungszeit einen niedrigeren Gewinn ausweist, oder nicht. Wenn der Grundsatz der Maßgeblichkeit auch für die Ausübung der steuerlichen Wahlrechte gilt, so bedeutet dies, dass der Stpfl. von der steuerlichen Vergünstigung nur Gebrauch machen kann, wenn er das (steuerliche) Wahlrecht in gleicher Weise wie in der Steuerbilanz auch für die Handelsbilanz ausübt. Das Handelsrecht hat durch das Bilanzrichtliniengesetz Regelungen eingeführt, die die Übernahme dieser steuerlichen Bilanzierungswahlrechte in die Handelsbilanz ermöglichen:

  • Für Sonderposten mit Rücklageanteil bestimmte § 247 Abs. 3 HGB a. F. für alle Kaufleute, dass die steuerrechtlich zulässigen Positionen auch in der Handelsbilanz gebildet werden durften und nach Maßgabe des Steuerrechts aufzulösen waren. Für Kapitalgesellschaften bestimmte § 273 HGB a. F. ergänzend, dass der handelsrechtliche Ausweis von Sonderposten mit Rücklageanteil nur zulässig war, wenn das Steuerrecht die steuerrechtliche Anerkennung dieser Position von der Bildung in der Handelsbilanz abhängig machte.
  • Für Abschreibungen bestimmte § 254 HGB a. F. für alle Kaufleute, dass sie für das Anlage- und Umlaufvermögen zulässig waren, soweit sie auch steuerrechtlich zulässig waren. Ergänzend regelte § 279 Abs. 2 HGB, dass dies bei Kapitalgesellschaften nur galt, wenn das Steuerrecht die steuerliche Berücksichtigung von dem entsprechenden Ansatz in der Handelsbilanz abhängig machte. Bedeutung hatte diese Regelung insbesondere für erhöhte Abschreibungen, Sonderabschreibungen und Teilwertabschreibungen.
  • § 280 Abs. 2 HGB a. F. machte bei Kapitalgesellschaften eine Ausnahme von dem Wertaufholungsgebot, wenn die Beibehaltung des niedrigeren Wertansatzes in der Handelsbilanz Voraussetzung dafür war, dass der niedrigere Wertansatz auch in der Steuerbilanz beibehalten werden konnte. Für Kaufleute, die keine Kapitalgesellschaften sind, galt nach § 253 Abs. 5 HGB a. F. das Wertaufholungsgebot nicht.

Diese handelsrechtlichen Regelungen galten letztmalig für Abschlüsse für Geschäftsjahre, die vor dem 1.1.2010 beginnen, also entweder für das Geschäftsjahr 2009 oder für das abweichende Geschäftsjahr 2009/2010. Dem entspricht die steuerliche Regelung für die Anwendung der umgekehrten Maßgeblichkeit.

 

Rz. 53a

Die Erstreckung der Maßgeblichkeit auch auf die Ausübung der steuerlichen Wahlrechte bedeutete damit einen faktischen Zwang zur Ausübung der Wahlrechte in der Handelsbilanz, wenn der Stpfl. von den steuersparenden Bilanzierungswahlrechten in der Steuerbilanz Gebrauch machen wollte. Dieser Zwang, aus steuerlichen Gründen die Handelsbilanz an die Steuerbilanz anpassen zu müssen, wird als "umgekehrte Maßgeblichkeit" bezeichnet, nämlich als faktische Bindung der Handelsbilanz an die Steuerbilanz. Der Begriff der umgekehrten Maßgeblichkeit ist jedoch lediglich ein Schlagwort, das nicht verdecken darf, dass es sich nur um einen faktischen Zwang handelt, die Handelsbilanz nach der Steuerbilanz auszurichten. Rechtlich gibt es eine umgekehrte Maßgeblichkeit nicht, es bleibt bei der Bindung der Steuerbilanz an die Handelsbilanz, nicht umgekehrt.[2]

 

Rz. 54

Der RFH und ihm folgend der BFH hatten ursprünglich in ständiger Rspr. die Ansicht vertreten, dass steuerrechtlich Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechte durch den konkreten Ansatz in der Handelsbilanz mit Wirkung für die Steuerbilanz ausgeübt werden, dass sich die Maßgeblichkeit also auch auf die Wahlrechte erstreckt.[3] Die Rspr. hat diese Ansicht vertreten, obwohl zumindest der Wortlaut des § 5 Abs. 1 EStG ("… das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen … auszuweisen ist") gegen eine Anwendung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes auf Bilanzierungswahlrechte spricht.

Von dieser bis dahin ständigen Rspr. war der BFH[4] abgewichen und hatte entschieden, dass Inhalt und Grenzen der Maßgeblichkeit sich nur aus Normen des Steuerrechts ergeben könnten. Der Sache nach hatte der BFH damit die umgekehrte Maßgeblichkeit nur anerkannt, soweit die Ausübung des Wahlrechts und die Beibehaltung des daraus resultierenden Werts im Steuerrecht ausdrücklich von einem entsprechenden Bilanzansatz in der Handelsbilanz abhängig waren.

 

Rz. 55

Durch Gesetz v. 19.12.1985[5] wurde die vom BFH[6] vermisste gesetzliche Regelung der umgekehrten Maßgeblichkeit geschaffen. Ursprünglich wurden bestimmte Fälle der "umgekehrten Maßgeblichkeit" enumerativ in § 6 Abs. 3 EStG geregelt. Durch Gesetz v. 22.12.1989[7] wurde die Regelung in § 5 Abs. 1 S. 2 EStG übernommen und dabei neu gefasst.[8] Die Aufzählung der betroffenen Fälle wurde dabei zugunsten einer abstrakten Formulierung aufgegeben. Danach waren allgemein steuerliche Wahlrec...

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