Rz. 96

[Autor/Stand] Überblick. § 4 Abs. 1 basiert auf der Vermutung, dass ein Staat, der eine (nach Maßgabe von § 2 Abs. 2) "niedrige" Einkommensteuer erhebt, auch unentgeltliche Erwerbe nur gering besteuert.[2] Diese Vermutung kann – parallel zu § 2 Abs. 2 – durch einen konkreten Belastungsvergleich widerlegt werden. Wird der Vergleich erfolgreich geführt, findet § 4 keine Anwendung; es verbleibt insoweit bei der beschränkten Steuerpflicht gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG.

 

Rz. 97

[Autor/Stand] Vergleich mit § 2 Abs. 2. Die Konzeption des § 4 Abs. 2 weicht in dreierlei Hinsicht von der des § 2 Abs. 2 ab. § 2 normiert einen Vergleich der Steuerbelastung des Stpfl. auf die Gesamtheit seiner Einkünfte, während § 4 Abs. 2 allein die Steuer in den Blick nimmt, die auf dem Erwerb des erweiterten Inlandsvermögens lastet, unter Ausschluss der Steuer auf die übrigen vom Erblasser/Schenker erworbenen Vermögensgegenstände. Sodann ist in § 2 Abs. 2 die tatsächliche Steuerbelastung mit derjenigen zu vergleichen, die bei unbeschränkter Steuerpflicht in Deutschland bestünde. Es wird also die Belastung eines realen Sachverhalts mit der eines hypothetischen verglichen. Demgegenüber verlangt § 4 Abs. 2 den Vergleich zweier Belastungen bei einem identischen Sachverhalt, nämlich der im Ausland bestehenden Belastung mit der deutschen Belastung. Schließlich liegt in § 4 Abs. 2 die maßgebliche Grenze einer niedrigen Besteuerung bei 30 % der Vergleichssteuer, während sie in § 2 Abs. 2 auf zwei Drittel bestimmt ist.

 

Rz. 98

[Autor/Stand] frei

"(2) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn nachgewiesen wird, ..."

 

Rz. 99

[Autor/Stand] Nachweispflichten. Wer den durch Abs. 2 geforderten Nachweis zu erbringen hat, regelt das Gesetz – im Unterschied zu § 2 Abs. 2 – nicht ausdrücklich. Im Regelfall wird der Steuerpflichtige hieran ein Interesse haben und entsprechend nachweisbelastet sein.[6] Im Einzelfall können die Interessen aber auch anders liegen:

 

Beispiel

O ist deutsche Staatsangehörige und vor sechs Jahren in den ausländischen Staat X verzogen, mit dem weder ein Einkommen- noch ein Erbschaftsteuer-DBA besteht. Sie ist erweitert beschränkt einkommensteuerpflichtig und verfügt in Deutschland über Wertpapiervermögen (Wert: 700.000 EUR) und eine Beteiligung i.H.v. 5 % an einer Kapitalgesellschaft. Die Beteiligung ist 2.000.000 EUR wert; gekauft hat sie O zum Preis von 3.000.000 EUR und diesen Erwerb vollständig fremdfinanziert. Die Darlehensverbindlichkeit besteht noch in vollem Umfang. O stirbt und wird durch ihren Ehemann beerbt.

In diesem Fall hat allenfalls die Finanzverwaltung ein Interesse, den Nachweis über die Steuerbelastung in X zu erbringen und die Anwendung von § 4 auszuschließen. Das erweiterte Inlandsvermögen ist aufgrund des Schuldenüberhangs negativ, so dass der Gesamtwert des Inlandsvermögens negativ ist.[7] Bei Anwendung von § 4 entsteht daher in Deutschland keine Steuer, während bei einfacher beschränkter Steuerpflicht die Beteiligung samt Verbindlichkeit unberücksichtigt bleibt (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG i.V.m. § 121 Nr. 2 BewG, § 10 Abs. 6 Satz 2 ErbStG) und daher eine Erbschaftsteuer entsteht.

Lässt man zu, dass sowohl Stpfl. als auch Finanzverwaltung einen entsprechenden Nachweis führen können, ist nicht recht verständlich, warum das Gesetz ein Erfordernis des Nachweises ausdrücklich bestimmt. Denn auch ohne die explizite Normierung des Nachweiserfordernisses würde derjenige die Feststellungslast für die Höhe der ausländischen Steuer tragen, der sich darauf und damit auf den Ausschluss der Anwendung von § 4 Abs. 1 beruft.[8] Auch eine subjektive Beweislastregel kann in dem Nachweiserfordernis nicht erkannt werden, denn dies ist nur einseitig zu Lasten des Stpfl. sinnvoll, nämlich als Durchbrechung des Untersuchungsgrundsatzes (§ 88 AO). Denkbar wäre daher allenfalls, dass die Gesetzesformulierung zu weit geraten ist und in Anlehnung an die Formulierung in § 2 Abs. 2 eingeschränkt werden muss. So verstanden wäre der Finanzverwaltung der Nachweis einer ausreichenden Besteuerung im Ausland verwehrt, ggf. entgegen besseres Wissen. Es erscheint zwar nicht ausgeschlossen, dass dies der Absicht des Gesetzgebers entsprach und seine Annahme, dass ausländische Gebiete, die eine niedrige Einkommensteuer erheben, auch unentgeltliche Erwerbe unter Lebenden und von Todes wegen niedrig besteuern, daher für die Finanzverwaltung eine unwiderlegliche Vermutung bilden soll. Da sich diese Absicht aber in keiner Weise im Normtext niedergeschlagen hat, der Vergleich mit § 2 Abs. 2 sogar eher das Gegenteil nahelegt, und auch die Gesetzesmaterialen keinen Anhaltspunkt dafür bieten, dass der Gesetzgeber überhaupt eine solche Absicht hatte, erscheint es überzeugender, in der Nachweispflicht lediglich eine überflüssige Regelung zur Feststellungslast zu sehen.[9] Im obigen Beispiel löst der Erwerb des Ehemannes daher eine Erbschaftsteuer in Deutschland aus, wenn X normal besteuert wird und die Finanzverwaltung dies nachweisen kann.

 

Rz. 100

[Autor/Stand] frei

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