Rz. 2939.1

[Autor/Stand] Betriebsstätten ohne Personalfunktionen. Die Personalfunktionen stellen den wesentlichen Anknüpfungspunkt für die Zuordnung der einzelnen Zuordnungsgegenstände dar und haben daher eine unmittelbare Wirkung auf die Ergebniszuordnung der Betriebsstätte. Können einer Betriebsstätte weder maßgebliche noch andere Personalfunktionen zugeordnet werden (insbesondere im Fall von personallosen Betriebsstätten, wie z.B. Pipelines, Internetservern, Wind-/Solarkraftanlagen o.Ä., die regelmäßig ohne lokales Personal betrieben werden), scheidet eine Gewinnzuordnung zu dieser Betriebsstätte grundsätzlich aus. Die Verordnungsbegründung zur BsGaV sieht für diesen Fall mit Verweis auf den OECD-Betriebsstättenbericht 2010 vor, dass "kein oder allenfalls ein geringer Gewinn zuzuordnen" ist (Rz. 2819).[2] Auf der Grundlage des AOA kann einer personallosen Betriebsstätte faktisch kein Gewinn zugeordnet werden, weil aufgrund fehlender Personalfunktionen keine Zuordnung von Vermögenswerten, Chancen und Risiken sowie Geschäftsvorfällen möglich ist. Nichts anderes ergibt sich auch aus § 4 Abs. 3 BsGaV, wonach in Zweifelsfällen nicht eindeutig zuordenbarer Personalfunktionen ein gewisser Zuordnungsspielraum besteht (Rz. 3018). Denn die Zuordnung darf auch in diesem Fall § 4 Abs. 1 und 2 BsGaV nicht widersprechen und setzt mithin die Existenz von Personal voraus.[3]

 

Rz. 2939.2

[Autor/Stand] Auffassung der Finanzverwaltung. Inzwischen sind die VWG BsGa um eine neue Rz. 6a ergänzt worden,[5] wonach im Fall einer Betriebsstätte ohne maßgebliche Personalfunktionen die Zugehörigkeit der Betriebsstätte zum Unternehmen "ebenfalls eine andere Behandlung" erfordern kann.[6] Damit ist die Rz. 6a offensichtlich mit der vorstehenden Rz. 6 der VWG BsGa verknüpft. Ausweislich der Rz. 6 Satz 1 VWG BsGa verbleiben trotz der weitgehenden Annäherung von Betriebsstätten und verbundenen Unternehmen bzw. nahestehenden Personen gem. § 1 Abs. 5 bei der Gewinnaufteilung Unterschiede, die darauf beruhen, dass eine Betriebsstätte zivilrechtlich unverändert ein untrennbarer Teil des Unternehmens ist. Infolgedessen ist nach Rz. 6 Satz 2 VWG BsGa mit Verweis auf § 1 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 von der grundsätzlich geltenden Eigenständigkeits- und Unabhängigkeitsfiktion der Betriebsstätte abzusehen, wenn "die Zugehörigkeit der Betriebsstätte zum Unternehmen [...] eine andere Behandlung" erfordert (Rz. 2883).

 

Rz. 2939.3

[Autor/Stand] Betriebsstättendefinition und Gewinnzuordnung. Nimmt man den AOA im Hinblick auf eine Gewinnabgrenzung der Betriebsstätte unter Berücksichtigung der Personalfunktionen beim Wort, so bedeutet dies (wohl unzweifelhaft), dass einer Betriebsstätte, die keine Personalfunktionen ausübt, keine Gewinne zuzuordnen sind.[8] Insofern wird offensichtlich, dass die Frage der Definition der Betriebsstätte (auch personallose Geschäftseinrichtungen oder Anlagen können eine Betriebsstätte begründen, Rz. 2819) nicht mit den Regeln zur Betriebsstättengewinnermittlung (ohne Personalfunktionen keine Gewinnzuordnung) abgestimmt ist. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund misslich, dass die Tendenz der OECD zu einer deutlichen Aufweichung, mithin Ausweitung des Betriebsstättenbegriffs tendiert (Rz. 2823). Zu verweisen ist nur auf die Etablierung der sog. Dienstleistungsbetriebsstätte[9] sowie die Neufassung des Art. 5 Abs. 4 OECD-MA 2017.[10] Es ist zu fordern, dass die OECD beide Bereiche – die Betriebsstättendefinition einerseits und ihre Gewinnermittlung andererseits – aufeinander abstimmt. Das zeigt zu gut das neue BMF-Schreiben v. 17.12.2019, wo ausgehend von § 1 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 versucht wird, für die personallose Betriebsstätte eine vom AOA abweichende Gewinnzuordnung abzuleiten. Systematisch ist dies nicht, und die fehlende internationale Abstimmung wird in den durchaus praxisrelevanten Betriebsstättentatbeständen bei IT-Servern, Windkraftanlagen und Solaranlagen zu internationalen Doppelbesteuerungen führen.

 

Rz. 2939.4

[Autor/Stand] Eingeschränkter Anwendungsbereich des § 1 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2. Ist die Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 (Rz. 2883) überhaupt geeignet, die Anwendung des AOA in Bezug auf personallose Betriebsstätten zu suspendieren? Blickt man in die Gesetzesmaterialien, ist dies unklar. Nach der Gesetzesbegründung dient der Halbs. 2 der Einschränkung der Selbständigkeitsfiktion in § 1 Abs. 5 Satz 2 dazu, z.B. hinsichtlich des Kreditratings sowie anzunehmender schuldrechtlicher Beziehungen die Selbständigkeitsfiktion der Betriebsstätte für Zwecke ihrer Gewinnermittlung einzuschränken. Entsprechende Einschränkungen seien in der BsGaV (so die Gesetzesbegründung) zu regeln.[12] Die BsGaV enthält indessen hinsichtlich der Auslegung des § 1 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 keinen Hinweis. In ihrer Begründung wird lediglich wiederholt, dass nach internationalem Verständnis für Betriebsstätten dieselbe Kreditwürdigkeit wie für das Unternehmen anzunehmen ist.[13] Weder aus dem Gesetz, der BsGaV noch den gesetzlichen...

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