Entscheidungsstichwort (Thema)

Umdeutung als Einspruch. - Revision eingelegt (Aktenzeichen des BFH: VII R 7/23)

 

Leitsatz (redaktionell)

Nach dem Rechtsgedanken des § 140 BGB kann ein Schreiben, das eine nichtige oder wegen Anfechtung unwirksame Verfahrenserklärung beinhaltet und nicht als Einspruch ausgelegt werden kann, dennoch in einen Einspruch umgedeutet werden.

 

Normenkette

AO §§ 355, 357; GG Art. 19 Abs. 4; BGB § 140

 

Tatbestand

Streitig ist, ob zulässige Einsprüche vorliegen, insbesondere, ob zwei Schriftsätze des Klägerprozessbevollmächtigten als Einsprüche gegen zu diesem Zeitpunkt bereits ergangene, dem Klägerprozessbevollmächtigten aber noch unbekannte Haftungsbescheide anzusehen sind.

Die G-GmbH & Co. KG (nachfolgend „KG”) betrieb bis August 2019 das Restaurant A in der I-Straße in N-Stadt. Kommanditisten der KG waren Frau N. H., die Ehefrau des Klägers zu 2., mit einem Gesellschaftsanteil von ca. 99 % sowie der Kläger zu 1. mit einem Gesellschaftsanteil von ca. 1 %. Komplementärin der KG war die G – Verwaltungs – u. Beteiligungs-GmbH (nachfolgend „Verwaltungs-GmbH”), deren Geschäftsführer der Kläger zu 1. war. Der Kläger zu 2. war bei der KG angestellt.

Der Beklagte teilte dem Kläger zu 1. mit Schriftsatz 10.07.2020 mit, dass offene Steuerschulden der KG bestünden und zu prüfen sei, ob und in welchem Umfang der Kläger zu 1. als Haftungsschuldner für die Steuerrückstände der KG in Anspruch zu nehmen sei. Der Kläger zu 1. wurde daher um Beantwortung verschiedener Fragen gebeten.

Mit einem weiteren Schreiben vom 28.09.2020 teilte der Beklagte dem Kläger zu 2. mit, dass auch diesem gegenüber eine Haftungsinanspruchnahme in Betracht komme. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger zu 2. faktischer Geschäftsführer gewesen sei. Dementsprechend bat der Beklagte auch den Kläger zu 2. um Beantwortung verschiedener Fragen.

Darauf bezugnehmend teilte der jetzige Prozessbevollmächtigte – wie in der früheren Anzeige der Vertretung des Klägers zu 1. ohne Vorlage einer schriftlichen Vollmacht – mit, dass er auch die Vertretung des Klägers zu 2. übernommenen habe. Die maßgebenden Zahlen zur Beurteilung einer möglichen Haftungsinanspruchnahme sollten bis zum 10.11.2020 vorliegen, sodass um entsprechende Fristverlängerung gebeten werde. Auf die Angelegenheit komme man unaufgefordert zurück. Im Übrigen sei der Kläger zu 2. nicht faktischer Geschäftsführer der KG gewesen.

Nachdem keine weitere Rückmeldung erfolgt war, erließ der Beklagte am 08.12.2020 jeweils Haftungsbescheide gegenüber den Klägern über Steuern und steuerliche Nebenleistungen i. H. v. insgesamt 90.407,61 EUR. Dabei schätzte der Beklagte die Haftungsquote bezüglich rückständiger Umsatzsteuern auf 100 %. Die Bescheide wurden an die Kläger persönlich adressiert und mit Zustellungsurkunde durch Einlage in die zur Wohnung gehörenden Briefkästen am 09.12.2020 zugestellt. Ebenso erließ der Beklagte am 08.12.2020 einen weiteren (nicht streitgegenständlichen) Haftungsbescheid gegenüber der Verwaltungs-GmbH, den er an den Kläger zu 1. an dessen Privatadresse zustellte.

Mit zwei Schreiben vom 08.01.2021, jeweils eingegangen beim Beklagten am 11.01.2021 (einem Montag), nahm der Klägerprozessbevollmächtigte auf den jeweils früheren Schriftverkehr Bezug. Bezüglich des Klägers zu 1. wurde eine Auflistung über Zahlungen, die über die Geschäftskonten der KG geleistet worden seien, vorgelegt. Nach dem Gesamtumfang der geleisteten Zahlungen sei nicht ersichtlich, dass der Beklagte benachteiligt worden sei. Was den Kläger zu 2. betreffe, verbleibe es dabei, dass dieser nicht verantwortlich gewesen sei und nicht als faktischer Geschäftsführer in Anspruch genommen werden könne. Auf die Schreiben vom 08.01.2021 wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.

Ausweislich eines Aktenvermerks teilte der Prozessbevollmächtigte auf telefonische Rückfrage des für den Erlass der Haftungsbescheide zuständigen Mitarbeiters des Beklagten am 14.01.2021 mit, dass die Schreiben vom 08.01.2021 als Stellungnahmen zum jeweiligen Anhörungsverfahren gedacht gewesen seien. Dem Klägerprozessbevollmächtigten sei unbekannt gewesen, dass mangels fristgerechter Stellungnahmen bereits Haftungsbescheide zugestellt worden seien und die Einspruchsfrist am 11.01.2021 abgelaufen sei.

Im weiteren Verfahrensverlauf teilte der Klägerprozessbevollmächtige am 15.01.2021 telefonisch sowie am 18.01.2021 schriftlich mit, dass der Kläger zu 2. seinen Bescheid nach Erhalt in den Briefkasten des Klägers zu 1. geworfen habe. Dieser sei im Dezember aber nicht zu Hause gewesen, sondern unmittelbar vor dem Besprechungstermin mit ihm, dem Klägervertreter, am 05.01.2021 zurückgekehrt. Diese Besprechung hätte der Kläger zu 1. als Besprechung der Haftungsbescheide angesehen, dies aber nicht angesprochen. Er sei davon ausgegangen, dass die ihm, dem Prozessbevollmächtigten, übergebenen Informationen (nämlich die Unterlagen der Steuerberatung über die von der KG im Haftungszeitraum geleisteten Zahlungen) in diesem Zusammenhang st...

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