Entscheidungsstichwort (Thema)

Zollrecht/Abgabenrecht: Verzinsung von erstatteten Einfuhrabgaben

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Unionsrecht steht einer nationalen Regelung (§ 233 Satz 2 AO) nicht entgegen, die eine Verzinsung des Zinsanspruchs ausschließt.

2. Die wirksame Ausübung der nach dem Unionsrecht bestehenden Ansprüche des Wirtschaftsbeteiligten gegen den Mitgliedstaat (siehe hierzu EuGH, Urteil vom 28.04.2022, verbundene Rechtssachen C-415/20, C-419/20 und C-427/20) erfordert nicht, dass die nationalen Behörden dem Wirtschaftsbeteiligten auch Prozesszinsen auf die erst im Verlauf eines gerichtlichen Verfahrens gewährten Zinsen auf die erstatteten Abgaben gewähren.

 

Normenkette

AO §§ 233, 236

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Verzinsung von Abgaben, die das beklagte Hauptzollamt von der Klägerin nacherhoben, nach einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung der Klägerin jedoch erstattet hat.

Die Klägerin führte aus Taiwan sog. Bolzenhaken, die zur Fertigung von Hundeleinen verwendet werden, ein. Nach einer Außenprüfung gelangte das beklagte Hauptzollamt zu der Auffassung, dass diese Waren entgegen der Anmeldung der Klägerin nicht als Waren der Position 8308 (Zollsatz 2,7 %), sondern als solche der Position 7907 (Zollsatz 5 %) der Kombinierten Nomenklatur (KN) zu behandeln seien. Mit zwei Abgabenbescheiden hob das beklagte Hauptzollamt Zoll nach, den die Klägerin in der Folge entrichtete.

Mit Urteil vom 20.06.2017 (VII R 24/15) hob der Bundesfinanzhof die beiden Nacherhebungsbescheide mit der Begründung auf, dass die Nacherhebung der Einfuhrabgaben rechtswidrig sei, weil die Waren in die Position 8308 KN einzureihen seien; ein Vorabentscheidungsersuchen beim Gerichtshof der Europäischen Union hatte der Bundesfinanzhof nicht gestellt.

Das beklagte Hauptzollamt erstattete der Klägerin die von ihr entrichteten Einfuhrabgaben; den Antrag der Klägerin vom 13.10.2017 auf Verzinsung der von ihr entrichteten Einfuhrabgaben für den Zeitraum ab ihrer Entrichtung bis zur Erstattung lehnte es jedoch mit Bescheid vom 28.02.2018 ab.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren - Einspruchsentscheidung vom 24.05.2018 - hat die Klägerin am 06.06.2018 Klage erhoben. Im Verlauf des Klageverfahrens hat das beklagte Hauptzollamt der Klägerin mit Bescheid vom 25.06.2020 Prozesszinsen für den Zeitraum ab Klageerhebung gegen die Nacherhebungsbescheide (September 2014) bis zur Erstattung der von der Klägerin entrichteten Einfuhrabgaben (Oktober 2017) in Höhe von 11.581,00 Euro gewährt. Insoweit ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt.

Mit Beschluss vom 01.09.2020 hat der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Union die folgende Frage zur Auslegung von Handlungen der Organe der Union im Wege der Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist ein Verstoß gegen das Unionsrecht als Voraussetzung des vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten unionsrechtlichen Zinsanspruchs auch gegeben, wenn eine mitgliedstaatliche Behörde eine Abgabe unter Verletzung rechtsgültiger Vorschriften des Unionsrechts festsetzt und ein mitgliedstaatliches Gericht diesen Verstoß gegen das Unionsrecht feststellt?

Mit Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 09.10.2020 sind die Rechtssachen C-415/20, C-419/20 und 4 C 427/20 (= 4 K 67/18) zu gemeinsamem schriftlichen Verfahren verbunden worden.

Der Gerichtshof hat die in den verbundenen Rechtssachen gestellten Fragen mit Urteil vom 28.04.2022 wie folgt beantwortet:

Die unionsrechtlichen Grundsätze über den Anspruch Verwaltungsunterworfener auf Erstattung von Geldbeträgen, zu deren Zahlung sie von einem Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Unionsrecht herangezogen wurden, sowie auf Verzinsung dieser Beträge sind dahin auszulegen,

  • dass diese Grundsätze erstens anwendbar sind, wenn die fraglichen Geldbeträge zum einen Ausfuhrerstattungen, die einem Verwaltungsunterworfenen zunächst unter Verstoß gegen das Unionsrecht versagt und dann verspätet gezahlt wurden, und zum anderen einer finanziellen Sanktion entsprechen, die gegen ihn aufgrund dieses Verstoßes verhängt wurde,
  • dass diese Grundsätze zweitens anwendbar sind, wenn sich aus einer Entscheidung des Gerichtshofs oder eines nationalen Gerichts ergibt, dass auf der Grundlage einer unzutreffenden Auslegung oder einer fehlerhaften Anwendung des Unionsrechts die Zahlung von Ausfuhrerstattungen, einer finanziellen Sanktion, von Antidumpingzöllen oder von Einfuhrabgaben von einer nationalen Behörde versagt bzw. von ihr eingefordert worden ist, und
  • dass diese Grundsätze drittens einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der, wenn die Zahlung von Ausfuhrerstattungen, einer finanziellen Sanktion, von Antidumpingzöllen oder von Einfuhrabgaben unter Verstoß gegen das Unionsrecht versagt bzw. eingefordert worden ist, die Zahlung von Zinsen unter Ausschluss des davor liegenden Zeitraums nur für denjenigen Zeitraum zu erfolgen hat, der zwischen dem Tag der Einlegung des gerichtlichen Rechtsbehelfs, mit dem die Zahlung bzw. die Erstattung des fraglichen Geldbetrags beg...

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