Entscheidungsstichwort (Thema)

Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO bei Versendung von Steuerbescheiden im sog. Zentralversand

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei Anwendung der Dreitagesfiktion gem. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO hat das Finanzgericht das Datum der tatsächlichen Aufgabe zur Post von Amts wegen zu ermitteln.

2. Die dreitägige Zugangsfiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt - jedenfalls im Streitfall - trotz Einschaltung eines privaten Postdienstleistungsunternehmens bei dem Versand von Steuerbescheiden durch ein Hamburger Finanzamt im sog. Zentralversand.

 

Normenkette

AO § 122 Abs. 2 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Feststellungsbescheides für 2020.

Der Kläger war im Jahr 2020 als selbstständiger Rechtsanwalt in Hamburg tätig und ist wohnhaft in A ... (Niedersachsen). Mit Bescheid vom 2. September 2021 (dieses Datum ist auf den Bescheid aufgedruckt) stellte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen für 2020 für den Kläger gesondert fest. In diesem Bescheid stellte der Beklagte die Einkünfte aus selbstständiger Arbeit i.H.v. 133.470,56 € fest und wendete dabei die sog. "1% Methode" gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG in Bezug auf den Pkw des Klägers nicht an, da der Beklagte davon ausging, dass der Pkw zu 75% privat und nur zu 25% betrieblich genutzt würde. Die Betriebsausgaben im Zusammenhang mit dem Pkw berücksichtigte der Beklagte in seinem Bescheid nur zu 25 %. Tatsächlich wäre - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG für den Pkw des Klägers anwendbar gewesen.

Die Steuerbescheide des Beklagten werden im sog. Zentralversand (Druckzentrum B ...) gedruckt. Nach dem Druck werden die Bescheide der C GmbH (im Folgenden: C) übergeben und ausgeliefert. Das Druckzentrum wird betrieben durch D, einer Anstalt öffentlichen Rechts.

Der im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens von der Freien und Hansestadt Hamburg (im Folgenden: FHH) mit der C am ... 2017 geschlossene Vertrag, der den Postversand aller Hamburger Behörden (und mithin auch des Beklagten) im Streitzeitraum umfasst, ist in dem "Transparenzportal" der FHH unter: "https://suche.transparenz.hamburg.de/dataset/vertrag-ueber-den-internen-und-externen-postverkehr-zwischen-der-fhh-und-C" abrufbar (vom Gericht abgerufen am 3. April 2023). Dieser sieht in der nach § 2 des Vertrages geltenden Leistungsbeschreibung u.a. vor:

"Anlage 2...

Leistungsbeschreibung

...

3. Abholung (interner und externer Postverkehr)

Etwa 7,7 Mio. Sendungen werden aus automatisierten Verwaltungsverfahren generiert, welche beim IT-Dienstleister D in B ausgedruckt werden und von dort abzuholen sind. ... Abholzeiten: Tägliche Abholung der gesamten Tagesmenge nicht vor 16 Uhr ohne Veränderung der vereinbarten Laufzeiten für die Zustellung oder zwei Abholungen, 80-90% der Tagesmenge nicht vor 14:30 Uhr, Restmenge gegen 16 Uhr, ohne Veränderung der vereinbarten Laufzeiten für die Zustellung.

... Das Druckzentrum D befüllt im Rahmen des automatisierten Drucks unmittelbar die zuvor vom Auftragnehmer bereitzustellenden einheitlichen Briefbehälter und Transportwagen zur Mitnahme bei Abholung. ... Keine Abholtermine sind der 24. und 31.12. sowie die gesetzlichen Feiertage des Bundes und der Freien und Hansestadt Hamburg. ...

6. Zustellung der externen Briefpost

...

Die Zustellung der Briefpostsendungen der Auftraggeberin beim Empfänger muss werktäglich (montags bis samstags) während der üblichen Dienst- bzw. Geschäftszeiten erfolgen.

Die Beförderung der Briefpostsendungen in den ländlichen Regionen, insbesondere bei abgelegenen Weilern / Höfen und Wochenendgebieten, sowie bei Versandspitzen muss gesichert sein. Eine ordnungsgemäße Zustellung ist überdies bei sog. Klingel- bzw. Schließhäusern sicher zu stellen. Die Briefpostsendungen sind auch in diesen Fällen ausschließlich in die jeweils dafür vorgesehenen Empfangsvorrichtungen einzuwerfen.

In Anlehnung an die Qualitätsmerkmale der Post-Universaldienstleistungsverordnung (PUDLV)müssen mindestens 80 % der eingelieferten inländischen Sendungsmenge (außer Einschreiben) im Jahresdurchschnitt an dem ersten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag ausgeliefert (E+1) und 95% an dem zweiten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag ausgeliefert (E+2) werden. Die übrigen Sendungen müssen am dritten auf den Einlieferungstag folgenden Werktag ausgeliefert werden (E+3). Zur Kontrolle dieser Brieflaufzeiten legt der Auftragnehmer der Auftraggeberin halbjährlich einen Laufzeitnachweis vor. Die Auftraggeberin behält sich vor, die Laufzeiten selbst zu prüfen oder durch Dritte prüfen zu lassen.

Bei erfolgloser erster Zustellung soll ein erneuter Zustellversuch erfolgen. Der Auftragnehmer sorgt für die Rückgabe von nicht zustellbaren Sendungen an die Auftraggeberin nach erfolglosen Zustellversuchen wegen z. B. Anschriftenänderung, fehlerhaften Anschriften, Unzustellbarkeit etc., auch wenn er die Nichtzustellung nicht zu vertreten hat. Die Angabe von Gründen ist notwendig. Daher sind die unzustellbaren Sendu...

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