3-Tage-Zugangsvermutung heute noch gerechtfertigt?
Da stellt sich die Frage, ob die 3-Tage-Zugangsfiktion (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO) noch gehalten werden kann, wenn das Bescheiddatum z. B. auf einen Freitag fällt, und somit nur der Samstag für eine Zustellung verbleibt. Das Thema hat inzwischen mehrere Finanzgerichte beschäftigt,
Montags keine Postzustellung
So war es nämlich bei einem Klageverfahren vor dem FG Berlin Brandenburg. Hier fiel das Bescheiddatum auf einen Freitag und nach Auffassung des Finanzamts legte die Klägerin den Einspruch gegen einen Einkommensteuerbescheid einen Tag zu spät ein. Die Klägerin legte aber dar, dass am Montag keine Postzustellung erfolgt und daher der Bescheid erst Dienstags zugstellt wurde. Die Einspruchsfrist sei daher - aufgrund der Verschiebung um einen Tag - gewahrt.
FG Berlin-Brandenburg: Frist gewahrt
So sah es auch das FG Berlin-Brandenburg (Urteil v. 24.8.2022, 7 K 7045/20). Die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO finde deshalb keine Anwendung, weil an der Wohnung der Klägerin innerhalb der 3-Tages-Frist regelmäßig nicht an allen Werktagen vom Postdienstleistungsunternehmen zugestellt worden ist.
Die Zugangsvermutung sei zu einer Zeit kodifiziert worden (1976), als ausschließlich die Deutsche Bundespost Briefpost in der Bundesrepublik Deutschland beförderte und zustellte und das regelmäßig an 6 Tagen in der Woche. Auch wenn dem Grunde nach bei Befassung privater (also nicht mit der Deutschen Post AG identischer) Postdienstleister die Zugangsvermutung gilt, müsse dennoch deren Arbeitsweise in den wesentlichen Zügen mit denen der Deutschen Bundespost bei Kodifizierung der Zugangsvermutung übereinstimmen.
Planmäßig keine Zustellung
Zwar finde die Zugangsvermutung auch Anwendung, wenn – z.B. wegen mehrerer arbeitsfreier Tage oder Personalausfall – innerhalb der 3-Tages-Frist an zwei Tagen keine Zustellung stattfindet (z. B. wird bei Aufgabe zur Post am Freitag, dem 30.4. trotz des Feiertags am 1.5. der Zugang am Montag, dem 3.5. grundsätzlich vermutet). Insoweit handele es sich jedoch um Sonderkonstellationen, die die grundsätzliche Anwendung der Zugangsvermutung nicht in Frage stellen können. Dies stelle sich aber dann anders dar, wenn innerhalb der 3-Tages-Frist – wie im Streitfall – planmäßig an zwei aufeinanderfolgenden Tagen keine Zustellung erfolgte (durch Zeugenaussagen war das Gericht hiervon überzeugt).
Die Zustellung wäre der Zugangsvermutung daher nur dann gerecht geworden, wenn der angefochtene Bescheid am Samstag, als an dem auf die Aufgabe zur Post folgenden Tag, im für die Wohnung der Klägerin zuständigen Zustellzentrum angeliefert und daraufhin am Montag in den Briefkasten der Klägerin eingeworfen worden wäre. Insoweit seien Verzögerungen ohne weiteres denkbar.
Revisionsverfahren beim BFH anhängig
Das FG Berlin-Brandenburg hat die Revision zugelassen, da es das Gericht für höchstrichterlich klärungsbedürftig hält, ob die Zugangsvermutung entfällt, wenn innerhalb der dort genannten 3-Tages-Frist an einem Werktag regelmäßig keine Postzustellung stattfindet. Wie zu erwarten war, hat das Finanzamt die Revision eingelegt, welche nun unter dem Az. VI R 18/22 und wegen folgender Rechtsfrage anhängig ist:
Entfällt die Zugangsvermutung gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, wenn innerhalb der dort genannten 3-Tages-Frist an einem Werktag regelmäßig keine Postzustellung stattfindet (und zwar unabhängig davon, ob der Empfänger berechtigte Zweifel gegen den nach der Zugangsvermutung berechneten Bekanntgabezeitpunkt erhoben hat).
Vergleichbare Fälle sollten offen gehalten werden, bis der BFH entschieden hat.
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FG Münster folgt FG Berlin-Brandenburg nicht
Das FG Münster hat aktuell eine andere Auffassung vertreten ( Urteil v. 11.5.2023, 8 K 520/22 E). Es folgt der Ansicht des FG Berlin-Brandenburg nicht, wonach die 3-Tages-Fiktion - wohl generell - nicht anwendbar sein soll, wenn nach dem Absendetag innerhalb der 3-Tages-Frist planmäßig zwei zustellfreie Tage liegen bzw. regelmäßig an einem Werktag keine Postzustellung stattfindet.
Aktualisierung: Da von der Entscheidung des FG Berlin-Brandenburg abgewichen wird, wonach die Zugangsvermutung nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO unabhängig davon entfällt, ob der Empfänger berechtigte Zweifel gegen den nach der Zugangsvermutung berechneten Bekanntgabezeitpunkt erhoben hat, wenn innerhalb der 3-Tages-Frist planmäßig an zwei aufeinanderfolgenden Tagen bzw. regelmäßig an einem Werktag keine Postzustellung stattfindet, hat auch das FG Münster die Revision zugelassen, welche unter dem Aktenzeichen VI R 6/23 auch eingelegt wurde.
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Franzfritz
Tue Jan 10 13:58:33 CET 2023 Tue Jan 10 13:58:33 CET 2023
Ein weiterer Grund, warum der 3-Tages-Zeitraum überschritten wird, ist die Verlagerung der Zustellung auf private Postdienstleister. Aus Kostengründen werden diese genutzt, wenn Bescheide und Briefe nicht zentral sondern direkt vom Finanzamt verschickt werden. Werden Briefe an Empfänger außerhalb des Gebiets des privaten Dienstleisters geschickt, werden diese an den dort zuständigen privaten Dienstleister weitergeleitet, umgestempelt und verteilt. Diese Briefe brauche dann, wenn ein Wochenende mit drin ist, locker 5-6 Tage.
Hinzu kommt, dass die Briefe und Bescheide (soweit sie von den Finanzämtern selbst verschickt werden) selten am eingedruckten Datum das Finanzamt verlassen, sondern erst 1-2 Tage später auf den Weg gebracht werden.