Entscheidungsstichwort (Thema)

Ermessensunterschreitung bei Haftungsinanspruchnahme

 

Leitsatz (amtlich)

Zur zweistufigen Überprüfung von Haftungsbescheiden als Ermessensentscheidungen.

Eine zur Aufhebung eines Haftungsbescheides führende Ermessensunterschreitung kann auch darin liegen, dass das Finanzamt neben für sich zutreffenden Ermessenserwägungen auch andere Erwägungen anstellt, aus denen deutlich wird, dass das Finanzamt seine Entscheidungsfindung zu Unrecht als eingeschränkt ansieht.

 

Normenkette

FGO § 102; AO §§ 34, 69, 191

 

Tatbestand

Streitig ist die Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner für Steuerschulden der A Handelsgesellschaft mbH (im folgenden A GmbH, im Besteuerungsverfahren geschrieben als A Handels GmbH).

Der Kläger ist Gesellschafter und seit 1990 alleiniger Geschäftsführer der A GmbH, die 19.. gegründet wurde mit dem Gegenstand Handel, Im- und Export mit Waren aller Art, ausgenommen erlaubnispflichtige. Die A GmbH beliefert hauptsächlich staatliche und halbstaatliche Kunden in der petrochemischen Industrie im Iran mit Industrieanlagen bzw. Komponenten solcher Anlagen. Seit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der A GmbH durch Beschluss des Amtsgerichts Hamburg (.....) vom ..... 2008 ist die Vertretungsbefugnis des Klägers eingeschränkt.

Im Rahmen der Veranlagung der A GmbH zur Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer für die Jahre 2003 bis 2005 und der Festsetzung von Vorauszahlungen für die Jahre ab 2006 ist streitig, ob in den Jahresabschlüssen der A GmbH enthaltene Verkaufsprovisionen für die Jahre 2003 bis 2005 als Betriebsausgaben zu berücksichtigen sind. Der Beklagte hat die gebuchten Verkaufsprovisionen vollständig nicht zum Betriebsausgabenabzug zugelassen. Hierüber wird nunmehr zwischen dem Insolvenzverwalter über das Vermögen der A GmbH und dem Beklagten in dem Klagverfahren 1 K 26/08, an dem der Kläger als Beigeladener beteiligt ist, gestritten. Auf die dieses Verfahren betreffenden Akten wird Bezug genommen.

Der Beklagte erließ ohne vorherige Anhörung des Klägers den Haftungsbescheid vom 09.11.2007, mit dem der Kläger wegen Steuerschulden der A GmbH in Höhe von 3.739.532,11 € in Anspruch genommen wurde. Beigefügt war eine Aufstellung über Steuerschulden der A GmbH in Höhe dieses Betrages mit Fälligkeitsdaten zwischen dem 06.03.2006 und 10.09.2007. Die Inanspruchnahme als Haftungsschuldner wurde mit der Stellung des Klägers als Geschäftsführer der A GmbH und der Nichtentrichtung der fälligen Steuern unter Anknüpfung an §§ 34,69 AO und der Definition des Begriffes "grob fahrlässig" begründet. Zur Ausübung des Ermessens hieß es: "In Ausübung pflichtgemäßen Ermessens ist Ihre Inanspruchnahme als Haftender gem. §§ 34 und 69 AO für die oben angegebenen Haftungsbeträge nach allem berechtigt."

Für nähere Einzelheiten wird auf den genannten Haftungsbescheid Bezug genommen.

Der Kläger legte gegen diesen Bescheid am 26.11.2007 Einspruch ein. Der Beklagte kündigte mit Schreiben vom 10.12.2007 an, im Rechtsbehelfsverfahren die vor Erlass des Haftungsbescheides nicht durchgeführte Anhörung nachzuholen und unter Abwägung der Argumente die Ermessensentscheidung zu überprüfen. Zugleich wurde der Kläger aufgefordert, den Einspruch zu begründen. Mit Schreiben vom 15.02.2008 forderte der Beklagte den Kläger zur abschließenden Bearbeitung des Einspruches auf, einen dem Schreiben beigefügten Fragebogen zur Haftungsinanspruchnahme sowie eine Einkommens- und Vermögensübersicht für sich auszufüllen. Der für die Beantwortung der Fragen maßgebliche Haftungszeitraum war nicht ausdrücklich angegeben. Der Kläger reichte keine weiteren Unterlagen ein.

Mit Einspruchsentscheidung vom 16.04.2008 setzte der Beklagte die Haftungssumme auf 3.539.532,11 € herab im Hinblick auf von Seiten der A GmbH im Zusammenhang mit einer Vollstreckungsschutzvereinbarung geleistete Raten auf die Steuerschulden in Höhe von insgesamt 200.000 €; im Übrigen wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Ausübung des Ermessens führte der Beklagte in der Einspruchsentscheidung aus: "Auch ist die Inanspruchnahme des Einspruchsführers ermessensgerecht. Nach dem Legalitätsprinzip ist das Finanzamt verpflichtet, entstandene Steueransprüche geltend zu machen. Zur Sicherung des Steueranspruchs ist das Finanzamt auch gehalten, von der im Gesetz in § 191 Abs. 1 AO eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen, rückständige Steuern von dem Dritten anzufordern, der einen gesetzlichen Haftungstatbestand erfüllt hat. Dazu gehört es auch, den Haftungsanspruch wie in diesem Fall frühzeitig geltend zu machen, weil zu befürchten ist, dass der Steuerschuldner den Rückstand nicht begleichen kann oder ihn nur durch Ratenzahlungen abtragen kann. Damit wird gewährleistet, dass der Steueranspruch aufgrund der Haftungsinanspruchnahme zeitnah getilgt wird.

Außerdem ist nach dem Urteil des BFH vom 13.04.1978 (BStBl II 1978,508) die Inanspruchnahme regelmäßig gerechtfertigt, wenn grob fahrlässig Steuern verkürzt wurden. Nach Aktenlage sind k...

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