Entscheidungsstichwort (Thema)

Erlass einer Zwischenentscheidung (sog. Hängebeschluss) im Verfahren nach § 114 FGO

 

Leitsatz (amtlich)

1. In begründeten Einzelfällen kann das Gericht eine für die Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens Zwischenregelung treffen; die Befugnis zum Erlass eines sog. Hängebeschlusses folgt unmittelbar aus Art. 19 Abs. 4 GG.

2. Die Erforderlichkeit einer Zwischenregelung ist im Rahmen einer Abwägung der Interessen der Verfahrensbeteiligten zu beurteilen.

3. Im Wege einer Zwischenregelung kann keine befristete Außerkraftsetzung eines Gesetzes - hier des GSA Fleisch - begehrt werden.

 

Normenkette

FGO § 114; GG Art. 19 Abs. 4

 

Gründe

Der Antrag auf Erlass einer Zwischenentscheidung (sog. Hängebeschluss) hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Eine für die Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens geltende Zwischenregelung, die in der Finanzgerichtsordnung nicht ausdrücklich vorgesehen ist, trifft das Gericht in begründeten Einzelfällen, um sicherzustellen, dass es zu einem späteren Zeitpunkt noch effektiven Rechtsschutz entsprechend den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisten kann. Die Befugnis zum Erlass eines sog. Hängebeschlusses ergibt sich unmittelbar aus Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. nur OVG Lüneburg, Beschluss vom 02.09.2014, 5 ME 142/14, juris; Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123, Rn. 29).

Eine solche Zwischenregelung kommt insbesondere in Betracht, wenn ohne sie bereits vor der gerichtlichen Eilentscheidung in unumkehrbarer Weise vollendete Tatsachen zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden geschaffen würden. Ihre Erforderlichkeit ist im Rahmen einer Abwägung der Interessen der Verfahrensbeteiligten zu beurteilen. In diese Abwägung einzustellen sind zum einen die Folgen, die eintreten würden, wenn die Zwischenregelung nicht ergehen würde und der Eilantrag später Erfolg hätte, und zum anderen die Nachteile, die entstehen würden, wenn die Zwischenregelung bis zur Entscheidung über den Eilantrag Bestand hätte, der Eilantrag dann aber abgelehnt würde (vgl. hinsichtlich des PrüfungsmaßstabsBVerfG, Beschluss vom 18.06.2020, 1 BvQ 69/20 , juris; Beschluss vom 11.10.2013, 1 BvR 2616/13, juris; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 10.12.2014, 1 B 1251/14, juris).

Unter Berücksichtigung der vorstehend skizzierten Maßstäbe ist eine Zwischenentscheidung zugunsten der Antragstellerin erforderlich.

Erginge die Zwischenentscheidung nicht, müsste die Antragstellerin nicht nur damit rechnen, dass der Antragsgegner ab dem 01.04.2021 von seiner Prüfungsbefugnis nach § 6b Abs. 1 GSA Fleisch Gebrauch macht und die Einhaltung der Vorgaben des § 6a GSA Fleisch überprüft. Sie wäre auch dem Risiko ausgesetzt, dass der Antragsgegner die nach seiner Sicht festgestellten Verstöße gegen die Vorgaben des § 6a GSA Fleisch nach Maßgabe des § 7 GSA Fleisch mit der Festsetzung von Bußgeldern in Höhe von bis zu 500.000 Euro ahndet bzw. - wird eine Geldbuße nicht festgesetzt - eine Verfallsanordnung nach Maßgabe des § 29a OWiG trifft. Auf Seiten der Antragstellerin entstünden Grundrechtseingriffe mit irreparablen Nachteilen.

Erginge die Zwischenentscheidung und würde der Eilantrag später abgelehnt, wäre der Antragsgegner lediglich für einen vorübergehenden, überschaubaren Zeitraum daran gehindert, die Einhaltung der Vorgaben des § 6a GSA Fleisch bei der Antragstellerin zu prüfen. In seinen weiteren Prüfungskompetenzen - etwa nach dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz - wäre der Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin nicht beschränkt.

Wägt man die Folgen gegeneinander ab, so wiegen die Nachteile, die im Fall des Erlasses der Zwischenentscheidung drohen, weniger schwer als die Nachteile, die auf Seiten der Antragstellerin im Falle der Versagung einer Zwischenentscheidung entstehen könnten.

Zur Abwendung wesentlicher Nachteile von der Antragstellerin ist es nach dem Dafürhalten des Senats indes lediglich erforderlich und geboten, dem Antragsgegner bis zur Entscheidung des Senats in dem Verfahren 4 V 33/21 zu untersagen, die Einhaltung der Vorgaben des § 6a GSA Fleisch in Bezug auf die Antragstellerin zu prüfen und eventuelle Verstöße gegen § 6a GSA Fleisch mit Geldbußen nach§ 7 GSA Fleisch zu ahnden bzw. die Einziehung eines Geldbetrages nach § 29a OWiG anzuordnen. Die Antragstellerin kann - auch mit Blick auf die Gewährleistung des Art. 19 Abs. 4 GG - nicht verlangen, dass der Senat ihr im Wege einer Zwischenentscheidung gestattet, in ihrem Betrieb bis zur Entscheidung des Senats in dem Verfahren 4 V 33/21 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung tätig werden zu lassen. Ein solcher Ausspruch käme einer Außerkraftsetzung des GSA Fleisch für einen bestimmten Zeitraum gleich, wozu der Senat nicht befugt ist, und würde der Antragstellerin zugleich das Risiko der rechtlichen Bewertung, ob sie ein Betrieb der Fleischwirtschaft im Sinne des § 2 Abs. 1 GSA Fleisch ist, abnehmen.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Zwischenentscheidung ergeht im Rahmen des V...

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