rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Klagefrist. Verschulden. Sorgfaltspflichtverletzung des Steuerberaters bei der Wahrung der Klagefrist

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der versäumten Klagefrist entscheidet das FG durch Endurteil.

2. Jedes Verschulden, auch einfache Fahrlässigkeit, schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus.

3. Das Verschulden eines Bevollmächtigten wird der säumigen Prozesspartei wie eigenes Verschulden zugerechnet.

4. Ein steuerlicher Berater ist nach Abschluss des außergerichtlichen Vorverfahrens verpflichtet, die Möglichkeit der Klageerhebung für seinen Mandanten zu wahren, selbst wenn ein anderer Berufsvertreter die Prozessvertretung übernehmen sollte.

 

Normenkette

FGO §§ 56, 155; ZPO § 238 Abs. 1 S. 1, § 85 Abs. 2

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.

1. Die Klägerin ist alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin der Handel GmbH. Ihr Ehemann war technischer Leiter des Unternehmens, dessen Gegenstand der Rohstoffhandel, der Im- und Export von Rohstoffen, das Recycling von Elektroschrott, die Trockenlegung von Altautos, der Schrott- und Metallhandel, der Abschleppdienst, der An- und Verkauf von Pkw sowie die Autovermietung, überhaupt der Handel mit Waren, soweit rechtlich erlaubnisfrei, ist (Amtsgericht X –AG–, HRB xxxx). Durch das Amtsgericht Y wurde am 1. September 2014 ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Handel GmbH eröffnet und Rechtsanwalt I (im Folgenden: I) zum Insolvenzverwalter ernannt. Beim Finanzgericht Baden-Württemberg (FG) sind Klageverfahren der Handel GmbH wegen Umsatzsteuer 2005 und 2006 (1 K 3645/13) sowie Umsatzsteuer 2007 und 2008 (1 K 3628/12) anhängig, die unterbrochen sind. Der Beklagte hat am 30. September 2014 zunächst Steuerforderungen gegen die Handel GmbH i.H. von x.xxx.xxx,xx Euro zur Insolvenztabelle angemeldet und später – am 12. Mai 2015 – die Anmeldung auf x.xxx.xxx,xx Euro geändert. Die Forderungen wurden von I zunächst in voller Höhe vorläufig bestritten. Mit Schreiben vom 24. März 2016 teilte I mit, dass die Umsatzsteuerforderungen 2005 und 2006 (1 K 3645/13) sowie 2007 und 2008 (1 K 3628/12) nunmehr anerkennungsfähig seien.

Der Ehemann der Klägerin wurde vom Landgericht X (LG) wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und vier Monaten verurteilt (LG-Urteil vom 27. November 2013 xxx). Die beim Bundesgerichtshof (BGH) eingelegte Revision führte zu keiner Änderung der verhängten Gesamtstrafe. Das Strafverfahren gegen die Klägerin wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung wurde nach § 153a der Strafprozessordnung (StPO) gegen Auflage eingestellt.

2. Zunächst wurde die Klägerin durch Haftungsbescheid vom 30. Januar 2012 i.H. von x.xxx.xxx,xx Euro für die Umsatzsteuerschulden einschließlich Nebenleistungen der Handel GmbH durch den Beklagten in Anspruch genommen. Hiergegen legte die Klägerin vertreten durch einen Steuerberater S am 10. Februar 2012 Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Haftungsbescheids.

Mit Schreiben vom 1. Mai 2012 teilte der Bevollmächtigte P mit, dass er die Klägerin als Haftungsschuldnerin „nunmehr” vertrete. Er bat „jeglichen Schriftwechsel ausschließlich” mit ihm zu führen (Rb-Akte, Bl. 9). Nach der dem Schreiben angefügten und von der Klägerin am 21. März 2012 unterschriebenen „Vollmacht und Zustellungsvollmacht” (nachfolgend: Vollmacht) wurde P von der Klägerin zur Vertretung in allen Steuerrechtsangelegenheiten gegenüber jedermann, insbesondere gegenüber allen Finanzbehörden und Finanzgerichten und durch alle Instanzen, ermächtigt. Die Vollmacht bestimmt ferner, dass Steuerbescheide und alle sonstigen Verwaltungsakte (einschließlich förmlicher Zustellungen) sowie Urteile und gerichtliche Verfügungen „ausschließlich” P bekannt zu geben seien (Rb-Akte, Bl. 19).

Mit Schreiben vom 4. Oktober 2013 wandte sich P an den Beklagten und führte aus, dass der Beklagte bisher weder über den Einspruch noch über den Antrag auf AdV des Haftungsbescheides entschieden habe. Daher teilte P dem Beklagten mit, „dass wir mit Ablauf des 18. Oktober 2013 Untätigkeitsklage mit Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beim Finanzgericht Baden-Württemberg erheben werden, mit dem weiteren Antrag, den Haftungsbescheid gegen … [die Klägerin] aufzuheben” (Rb-Akte, Bl. 62). Mit Schreiben vom 21. November 2013 mahnte P nochmals die Bearbeitung an.

Der Beklagte bestätigte mit Schreiben vom 28. November 2013 den Eingang des Einspruchs und des Antrags auf AdV. Zudem wurde das Ruhen des Verfahrens vorgeschlagen. Dem widersprach P mit Schreiben vom 31. Januar 2014 und führte aus: „Wir sind beauftragt, finanzgerichtlich gegen den Haftungsbescheid vorzugehen, sollte der Sachverhalt nicht innerhalb eines Monats erledigt werden können. Ein weiteres Zuwarten,...

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